Freitag, 18. Juni 2010

Skandale und Skandälchen

Die Macht der Massenmedien stützt sich auf eine gut geölte Empörungsmaschinerie, die mit immer neuen Skandalen gefüttert werden muß. Manche Institutionen geben sich besonders bereitwillig als Skandallieferanten her. Vor allem solche, deren Vertreter das Spiel nicht durchschauen und mitunter sogar glauben, sie könnten mit dem Teufel ins Bett gehen, ohne dabei Schaden zu nehmen.

In anderen Bereichen setzt man auf die Inszenierung von Skandalen, um das Geschäft am Laufen zu halten. Oft verfährt der Kulturbetrieb so.  Manche Strategien, einen Skandal zu lancieren, haben sich freilich abgenutzt: Wenn eine Sängerin sich als Nonne verkleidet auf einem Bett wälzt,  zieht heute kaum jemand auch nur die linke Augenbraue hoch.

Leicht herstellen lassen sich Skandale im Literaturbetrieb. Da reicht es, wenn einer ein Buch über irgendjemanden schreibt, irgendwas zu enthüllen droht, die Gegenseite mit rechtlichen Schritten droht, das Feuilleton eifrig sekundiert...

Ich kenne schon den Literatur-Sommerskandal 2010: FAZ und Welt kündigen ihn gleichzeitig an. Ex-Suhrkamp-Autor Norbert Gstrein hat einen Roman über Suhrkamp und Verlegerin Ulla Unseld geschrieben, über jenen Verlag also, der so eng mit dem Zeitgeist der 68er verbunden ist, daß ihm eine Neupositionierung heute nur schwer gelingen kann. Gstrein bezeichnet sein Werk als „Prosa mit schwerem Wirklichkeitsgewicht“, Richard Kämmerlings raunt in der FAZ:

"Wenn man sagt, Gstrein sei mit der Materie vertraut, dann meint das nicht nur die recherchierbaren Fakten, sondern mehr noch die Gerüchte, Mythen und Legenden, die sich um die Gestalt der Verlegerin winden: den immer wieder kolportierten Hang zur schwarzen Magie, die Beschäftigung von Heilern und Wahrsagern, ihr gnostisches Weltbild, das für sie selbst eine heilsgeschichtliche Rolle vorsieht, ihre Paranoia."

Die Welt kündigt den erst in zwei Monaten erscheinenden Roman als "Ulla-Pronographie" an. Ist also alles dabei, Sex, Okkultismus und Intrigen, der Skandal kann kommen.  Doch wer weiß, vielleicht ist das diesmal doch alles zu belanglos, denn nichts ist langweiliger als solche Insider-Geschichten aus einem Milieu, das ohnehin zu nervtötender Selbstbespiegelung neigt. Romane über den Literaturbetrieb sind halt im besten Fall eine Verfallsstufe des Gesellschaftsromans, im schlimmsten Fall eine private Abrechnung. Ich weiß schon, welches Buch so schnell nicht auf meiner Sommer-Leseliste landen wird. Und ich wünsche mir sehnlichst gute Bücher, deren Ruf sich nicht auf Skandälchen gründet.

2 Kommentare:

  1. Mich altes Klatschweib interessiert das ja schon, vor allem, was die schwarze? Witwe an Okkultem treibt - ist die Frau eine Hexe? (zumindest werden diese Stereotypien bemüht).
    Natürlich werde ich den Roman nicht lesen, meine Leseliste ist auf Jahre hin voll, für mich müsste überhaupt nichts mehr geschrieben werden.

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  2. Auf mich wirkt sie eigentlich nur etwas exaltiert, wie viele Frauen in mittleren Jahren auf der Suche nach ihrer Identität. Das ist natürlich auch ein Klischee - aber vielleicht treffender als diese Gerüchte, die ihren leichten Hang zur Esoterik allzu ernst nehmen.

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