Samstag, 27. Juni 2009

Ein Verkannter

Bei Matthes & Seitz sind in den letzten Jahren einige Werke des französischen Kritikers und Schriftstellers Jules Barbey d'Aurevilly (1808-1889) erschienen.  Ein durchaus mutiges Projekt, denn kaum ein anderer Schriftsteller ist so wenig mehrheits- oder gar massentauglich wie er: überzeugter Katholik, Reaktionär, Monarchist, Dandy – das alles macht ihn für die meisten nur verdächtig. So bleibt sein Publikum klein, aber erlesen. Es könnte sich aus folgenden Kreisen zusammensetzen:

1. Fortschrittsskeptiker. Wer quer zum Zeitgeist steht, freut sich über seine Aphorismen, etwa diesen: "Ach! Die Philosophie! Hegels Einheit der Substanz führt in der Politik zu uneingeschränktem Kosmopolitismus und in der Moral zur Verwirrung der Geschlechter... Geben Sie zu, die Possenreißerei hat ernste Folgen!" (Jules Barbey d'Aurevilly, Feinheit des Geistes rührt von Niedertracht, Berlin: Matthes & Seitz 2008, S.77)

2. Standhafte. Wer für etwas brennt und trotz aller Hindernisse dabei bleiben will, findet in ihm ein Vorbild. Barbey d'Aurevilly hielt durch. Er schrieb Romane und verdiente seinen Unterhalt bis an sein Lebensende mit Buchkritiken (1300 Kritiken in 50 Jahren). Und er bewahrte seinen Stil selbst dann noch, als er völlig verarmt war – den Stil eines Dandys, der sich an Vorbildern wie Lord Byron oder Beau Brummel orientiert. Er muß dabei ein wenig skurril gewirkt haben, z.B. trug er immer eine Reitgerte bei sich. Jedenfalls: Durch seine Art zu leben erhob er sich über die Wirklichkeit und ihre Widrigkeiten, und zwar auf eine Weise, die heute ungewohnt und kühn erschient.

3. Sensible, deren Seele nur eine dünne Schutzschicht hat. Barbey d'Aurevilly gehörte zu ihnen. Paul Bourget beschreibt ihn so: Er hatte "die Empfindlichkeit eines Menschen, der sich verschließt, verkrampft und aufregt statt sich einfach hinzugeben.“ [...] Er "versteckte seine Reizbarkeit hinter den kühnsten und manchmal beleidigenden Paradoxa. Er war dabei unendlich geistvoll und originell, was der Konversation unvergleichlichen Glanz verlieh. Wer ihn so hörte, ganz dem oft mit wildem Grimm geführten Gespräch ergeben, konnte kaum ahnen, daß das Feuerwerk eine furchtbar verletzliche Seele schützen sollte, die wegen eines Nichts zu bluten anfing. [...] Ein freies Wort, eine Nachlässigkeit, in der er Kühle zu erkennen glaubte, eine Geste, die er als feindselig interpretierte, setzte ihm gewaltig zu. Ein Fremder, der ihm nicht gefiel, konnte ihm echte Qual bereiten. Er steigerte sich dann in jene Aufgebrachtheit hinein, die sein Benehmen für viele Leute satanisch und gemein machte, wo er doch der beste Mensch war, gerührt durch jede Aufmerksamkeit, anhänglich, leutselig und liebenswürdig." (139f.)
Er selbst notierte zum Stichwort „Gefühl“: "Der Mensch ist nie Geist genug, um die Gefühle auszuschalten, und die stärksten sind verletzte. Die schönsten Eingebungen, diese Purpurblumen, die sich im Gehirn entfalten, wurzeln im Herzblut, und vielleicht ist das „Salz der Weisheit", von dem die Heiligen Bücher sprechen, nichts als das vergossener Tränen.“ (S. 99)

4. Zerrissene. Paul Bourget schreibt, daß seine "hohen Gaben nie ganz ihre Erfüllung fanden". Dies lag wohl auch an seiner Zwiespältigkeit. Er litt unter jener inneren Widersprüchlichkeit, die einen Dandy eigentlich erst ausmacht: Denn ein Dandy ist gierig nach der Bewunderung der Gesellschaft, die er eigentlich verachtet. Eine solche Haltung ist kräftezehrend. Und dennoch: Barbey d'Aurevilly fand einen Weg, daraus schöpferische Impulse zu gewinnen. Er brillierte mit scharfen Polemiken und beißender Kritik und unterhielt die literarischen Salons von Paris, in denen er verkehrte, mit treffenden Formulierungen. Seine Aphorismen gehören zu den besten, die je geschrieben wurden.

5. Goethe-Hasser. Niemand hat Goethe so beschimpft wie Jules Barbey d'Aurevilly in seiner Streitschrift „Gegen Goethe“. Dazu ein andermal mehr.

Warum ich ihn lese: Wenn ich mit der Welt hadere, tut es gut, seine Polemiken zur Hand zu nehmen. Es hat eine kathartische Wirkung: Das Fluchen, Wettern, Schmähen und Exkommunizieren nimmt er seinem Leser ab, und zwar auf formvollendete Weise. Bei ihm wird das Schimpfen zur Kunstform. Und wenn ich mit der Welt zufrieden bin, lese ich ihn auch: Denn in seinen Schriften und Romanen („Über das Dandytum“, „Die alte Maitresse“) lebt eine heute längst untergegangene Welt weiter. Und es ist schließlich immer das Fremde, dem Zeitgeist Ferne und Widerständige, das die Erkenntnis erweitert.