Samstag, 9. Mai 2009

1984

Noch einmal gelesen: Orwells "1984", und erstaunt über die Zeitlosigkeit dieses Entwurfs. Deutlich ist: Totalitarismus beginnt in den Köpfen.  Jedes totalitäre System sucht die Kontrolle über die Wahrnehmung und die Gedanken des Einzelnen. Damit die Wirklichkeit  geleugnet und einer Idee untergeordnet werden kann.

Deutlich wird auch: Einem totalitären System hat wenig entgegenzusetzen, wer seiner eigenen Wahrnehmung nicht vertraut, nicht den Versuch wagt, die Wahrheit selbst zu erkennen, nach Erkenntnis zu suchen mit den Mitteln seiner Vernunft. Deshalb: "Freedom is the freedom to say that two plus two make four."

Doch das Leugnen von Erkenntnissen, die auf der Hand liegen, ist heute zu einer Mode-Ideologie geworden. Der Konstruktivismus besteht in der Annahme, "dass jeder Mensch sich seine eigene Wirklichkeit konstruiert, also jeder Einzelne in einer anderen Wirklichkeit lebt und es somit keine für alle Menschen gleichermaßen gültige Wirklichkeit gibt". Warum er letztlich absurd ist, beschreibt Eugen Maria Schulak heute im EF-Blog.

Eins ist klar: Der Konstruktivismus raubt seinen Anhängern den Mut und das Vertrauen in ihre eigene Erkenntnisfähigkeit. Und wo es nichts zu verteidigen gibt, hat man einem Gegner, der entschlossener auftritt, nichts entgegenzusetzen. Deshalb halte ich den Konstruktivismus für gefährlich - auch wenn er sich selbst als Gegenentwurf zu jedem totalitären Denken betrachtet.

Orwell zeigt dagegen hellsichtig, was wirklich vor totalitären Systemen schützt: Literatur, Einsamkeit, Tagebuch-Schreiben, Individualität, Religion, Liebe, Familie, Musik, Natur. Und das Festhalten an der Wahrheit, die man selbst erkannt hat: "Being in a minority, even a minority of one, did not make you mad. There was truth and there was untruth, and if you clung to the truth even against the whole world, you were not mad."

Montag, 4. Mai 2009

Pygmalion

Der Bildhauer Pygmalion war von den Frauen enttäuscht. Er verliebte sich in eine Elfenbeinstatue, die er selbst erschaffen hatte, und flehte Aphrodite an, ihm eine Frau zu schenken, die seiner Statue ähnlich ist. Daraufhin erwacht die Statue zum Leben. Nachzulesen ist dies bei Ovid in den "Metamorphosen".

Der alte Gedanke, lebendige Menschen einem elfenbeinernen Ideal zu unterwerfen und sie auf diese Weise zu perfektionieren, gefiel besonders der Aufklärung. So schlüpfte auch der junge Heinrich von Kleist, den Kopf noch voll von aufklärerischen Vorstellungen, in die Rolle des Pygmalion. Seiner Braut Wilhelmine von Zenge gab er Denkübungen auf, um ihren Verstand und ihre Seelenkräfte zu formen. Die Verlobung platzte, und Wilhelmine schrieb an ihren späteren Ehemann Wilhelm Traugott Krug: "Er hatte einen erhabenen Begriff von Sittlichkeit, und mich wollte er zum Ideal umschaffen, welches mich oft bekümmerte." Der Mythos von Pygmalion begegnet hier also als Tragödie zweier Liebender.

Mit Zügen eines Satyrspiels stattet ihn dagegen George Bernard Shaw aus. Sein Schauspiel "Pygmalion" erzählt die Geschichte des Professors Henry Higgins, eines selbstgerechten Sprachwissenschaftlers, der der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle beibringen will, mit dem Akzent einer Herzogin der Londoner Gesellschaft zu sprechen. Doch auch hier endet die Geschichte traurig: Eliza verläßt den kaltherzigen Professor, weil er nicht sie liebt, sondern sein Ideal.

Shaws Schauspiel wurde später umgearbeitet zu dem Musical "My fair lady", und hier gibt es endlich ein Happy End: Der eingefleischte Junggeselle Higgins verliebt sich in Eliza und sie träumen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Als das Musical 1964 verfilmt wurde, spielte Audrey Hepburn die Rolle der Eliza.  Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Denn die zarte, elfenhafte Hepburn, Tochter eines englischen Bankiers und einer niederländischen Baronin, war als robustes Gossenmädchen eine geradezu groteske Fehlbesetzung. Dennoch ist Hepburn mit dieser Rolle vielen in Erinnerung geblieben. Heute wäre Audrey Hepburn 80 Jahre alt geworden.