Samstag, 28. Mai 2011

Die Alten

Der Respekt vor den Alten ist in vielen Kulturen tief verankert und war es auch lange in der westlichen Welt.  Geändert hat sich das erst mit dem Kulturbruch der 1960er-Jahre. Die Entmachtung der Autoritäten verband sich mit einem sich immer weiter ausbreitenden Jugendwahn. Doch warum soll man die Alten respektieren? Als Grund wurde immer ihre Weisheit angeführt, doch ich glaube, daß dahinter ein Schutzmechanismus verborgen ist: Man zollt den Alten Respekt, um ihre Schwäche weniger offensichtlich zu machen. Sonst sind sie zu leicht verletzbar.

Nicht nur, weil ihr Körper nicht mehr so stark ist. Bei vielen richtet sich das Denken an der Vergangenheit aus. An frühere Geschehnisse erinnern sie sich genau, während das Kurzzeitgedächtnis versagt. Viele erleben, daß ihre Werte nichts mehr gelten, und ihre Ziele, die sie ihr Leben lang verfolgt haben, für die nachfolgenden Generationen keine Bedeutung mehr haben. Das ist schwer zu akzeptieren, führt zu Traurigkeit und Verbitterung.

Doch sie sind auch stark: Sie können Erfahrungen weitergeben und sind eine Quelle für die Geschichte. Ich bereue es, daß ich meinem Opa damals nicht richtig zugehört habe, als er von seiner Kriegsgefangenschaft in Rußland erzählt hat. Heute würde ich ihn gerne soviel fragen, doch er ist schon lange tot.

Und dann gibt es noch die klugen, mild gewordenen Alten ...

Jedenfalls: Die Alten zu respektieren ist Ausdruck von Kultiviertheit und einer liebenswürdigen Haltung. Dieser Respekt gilt dem gelebten Leben, den Erfahrungen und Erinnerungen, die damit verbunden sind, und dem hohen Wert, den die verbleibende Zeit noch hat.

Doch was ist mit den Alten von heute? Die Alten, das werden bald die 68er sein, die mit großem Erfolg frühere zivilisatorische Errungenschaften über Bord geworfen haben und deren Ansehen heute rasant sinkt - vor allem bei jungen, hart arbeitenden Menschen. Wie wird das sein? Heerscharen verbohrter alter Kindsköpfe, immer noch von der Revolution träumend, der Enteignung Springers, der Abschaffung der Religion? Soll man ihnen nun die Rechnung präsentieren, ihnen den Respekt verweigern: "Schließlich habt ihr es nicht anders gewollt!"

Nein. Denn eine zivilisierte Gesellschaft macht Achtung nicht von der Lebensleistung eines Menschen abhängig. Sowas wäre roh und dumm.

Der Ausgangspunkt dieser ganzen Überlegungen war eigentlich ein ungutes Gefühl, das ich hatte. Jemand hatte mir einen youtube-Clip gezeigt, einen furchtbaren Auftritt von Uta Ranke-Heinemann bei Markus Lanz. Sie flippt aus, und es gibt sicher viele, die das komisch finden. Ich finde es schrecklich, daß eine alte Dame dermaßen vorgeführt wird (und ziemlich unchristlich, aber das dürfte die wenigsten interessieren). Eine alte Dame, die sich meiner Meinung nach schon lange hoffnungslos verrannt hat. Aber dennoch will ich nicht, daß alte Menschen auf eine solche Weise präsentiert werden. Daß sie Opfer eines immer aggressiver und brutaler werdenden medialen Diskurses werden, in dem sie sich nicht behaupten können.

Und das ist halt eines der größten Probleme unserer Mediengesellschaft: der verletzende, boshafte und polemische Ton, der Andersdenkenden gegenüber üblich geworden ist, das Ersetzen von Gedanken und Argumenten durch Gebrüll, und die Haltung, die dahintersteckt und von Barbarei nicht weit entfernt ist.

Das zeigt vor allem, daß  wir wieder mehr Kultur brauchen, mehr Haltung und Differenzierungsvermögen. Einüben kann das zur Zeit nur jeder Einzelne für sich - der Respekt vor den Alten ist ein guter Anfang.

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Eigentlich verstehe ich es nicht, daß sich manche auch heute noch so sehr an Leuten wie Hans Küng oder Frau Ranke-Heinemann abarbeiten. Sie werden sicher noch eine Weile von den Medien herumgereicht, aber außerhalb der medialen Parallelwelt finden sie doch gar kein Gehör mehr. Welcher Zwanzigjährige kennt diese Namen denn noch? Ich fühle mich nicht von ihnen bedroht und habe nicht das Bedürfnis, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Unsere Gesellschaft hat größere Probleme. Z.B. den Terrorismus der linksfaschistischen Barbaren von der sogenannten "Antifa". Die Männer, bei denen die Frankfurter Polizei gestern Sprengsätze gefunden hatte (die eventuell für einen Anschlag auf die im Juni stattfindende Innenministerkonferenz gedacht waren), waren 18 und 19 Jahre alt.

Donnerstag, 26. Mai 2011

Der Schrei des Konvertiten zerstört das Minarett

So hat Annemarie Schimmel mal die Frage beantwortet, warum sie nicht zum Islam konvertiere. Ich weiß nicht, ob es sich bei diesem Spruch um eine alte Sufi-Weisheit handelt. Jedenfalls belegt er deutlich, daß auch andere Religionen mit ihren frisch bekehrten Neuanhängern manche Probleme haben.  Schließlich ist der Übereifer des Konvertiten sprichwörtlich geworden.

Konvertiten ... Merkwürdigerweise denke ich bei diesem Wort zuerst an Pierre Vogel. Allerdings zeigt der Ex-Boxer und Salafistenprediger tatsächlich in Reinform einige Auffälligkeiten, die man an Konvertiten öfter beobachten kann: den Wunsch nach der absolut reinen Lehre, das Leugnen von Ambivalenzen, die Gewißheit, selbst zu hundert Prozent den rechten Glauben zu vertreten. Den Wunsch, dies öffentlich zu zeigen. Und nicht zuletzt: das Bedürfnis, sich durch äußere Zeichen wie Kleidung abzugrenzen. (Da hat der Islam freilich ein weiter gefächertes Angebot als das Christentum.) Und das alles, um zu beweisen, daß man wirklich dazugehört.

Doch über einen Kamm scheren kann man die Konvertiten freilich auch nicht. Mein Lieblingskonvertit Evelyn Waugh, der übrigens großartige Bücher geschrieben hat, sagte mal: "Wäre ich nicht Katholik, dann wäre ich noch viel unausstehlicher.“ Und das klingt schließlich gar nicht ostentativ rechtgläubig, sondern ziemlich demütig.

Ja, ich gebe zu: Die exzentrischen, extravaganten, oft sehr spitzzüngigen und geistig unabhängigen Konvertiten aus der Literaturgeschichte sind mir oft lieber als manche der gegenwärtigen Exemplare. Denn es gibt sie tatsächlich: diese Nervensägen, die drei Monate nach der Konversion einem seit zwanzig Jahren mit dem Glauben Ringenden erklären wollen, wie er Glaubenskrisen überwinden kann.  Oder vor Streitsucht überkochen, wenn irgendjemand in einem x-beliebigen Internetforum erwähnt, daß er für das Frauenpriestertum ist.

Aber warum ist das so?

Ich glaube, daß manche Konvertiten einer Gefahr erliegen. Einer Gefahr, der ich selbst bei meiner Rückkehr zur Kirche erlegen bin. Man nimmt den Glauben als Wahrheit an und verliert dann leicht das demütige Wissen, selbst immer wieder Irrtümern zu erliegen. Mit der Folge, daß man anderen Irrenden die Wahrheit wie ein nasses Handtuch um den Kopf schlägt, ganz ohne Selbstzweifel. Eine weitere Gefahr: Der Kopf bekehrt sich schneller als das Herz, so daß man das Wesentliche noch nicht erkennen kann - nämlich, daß die Liebe zu Gott und den Menschen und die persönliche Beziehung zu Christus im Mittelpunkt stehen sollen.

Nun gut, zumindest konnte ich solche Tendenzen an mir beobachten, aber ich bin gar kein Konvertit. Sondern ein Revertit, und das ist anders.

Eine anfängliche Phase hochfliegenden Glaubenseifers gab es für mich auch, direkt nach meiner Rückkehr zur Kirche. Doch dann kam schnell die Ernüchterung: Denn dabei zu bleiben und an sich zu arbeiten ist mühevoll. Die Zweifel sind nicht verschwunden, aber ich will nicht mehr auf sie hören.

Vielleicht haben Konvertiten das Gefühl, erwählt zu sein - ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch wie das Gefühl einer sehr späten Liebe, die verteidigt werden will. Beides ist großartig.

Mein Gefühl war eher: Ich bin wieder da. Es ist alles so wie früher, und diesmal will ich bleiben. Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe, denn es hat ja schon einmal nicht geklappt.

Und doch wird es immer etwas geben, was mich zur Kirche zurückziehen wird. Eine Bindung, die früh gelegt wurde, sehr früh. Bei mir hat es damit zu tun, daß ich als Kind oft in der Heiligen Messe war, dort glücklich war und sich mir der ganze Ablauf tief eingeprägt hat. Es ist tatsächlich eine Prägung, ein Brandzeichen in der Seele. Wie sonst wäre es zu erklären, daß es Katholiken gibt, die mit der Kirche überhaupt nicht im Reinen sind - und trotzdem bleiben wollen. (Aus diesem Grund ist es lieblos, solchen Zweifelnden zu erklären, sie sollten doch einfach evangelisch werden. Das geht eben nicht!)

Und weil es dieses Band gibt, bin ich froh, kein Konvertit zu sein. Denn es gibt mir auch die Sicherheit, daß ich unwiderruflich dazugehöre, egal wie schwach ich bin. Ich weiß, daß mein Glaube höchst defizitär ist, aber ich muß mir nichts beweisen und werde ihn nie ganz verlieren.

Und die nervigen Konvertiten? Stehen eigentlich unter Welpenschutz, denn sie sind ja noch ganz neu dabei. Und natürlich ist es schön, wenn jemand zum Glauben findet. Im heutigen Deutschland ist das sicher eine ungewöhnliche, schwierige, von viel Mut und geistiger Unabhängigkeit getragene Entscheidung und damit auch ziemlich rebellisch und subversiv.

Wobei: Subversiver sind doch wir Revertiten, denn wir zeigen einen äußerst unzeitgemäßen Gehorsam: indem  wir einfach zu dem Glauben zurückkehren, den Andere für uns ausgesucht haben.