Samstag, 30. Juli 2011

Was die Linken besser können

Sich vernetzen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, obwohl ich nie eine richtige Linke war. Sondern bloß so wie alle, ein bißchen linksliberal, ein bißchen engagiert, ehrgeizig, einverstanden mit dem Mainstream, ansonsten eher unpolitisch. Doch das hat gereicht. Denn wer ungefähr das Richtige denkt, findet seinen Platz. Wer ein bißchen Talent hat, findet sogar leicht einen guten Platz. Ich bekam Stipendien, tolle Praktikumsplätze, verdiente mit Anfang 20 neben dem Studium recht gut mit Zeitungsartikeln und schrieb später für verschiedene große Redaktionen. Zurückblickend weiß ich, daß es ein Netzwerk gab, das mich trug. Ich kam immer weiter, alles erschien durchlässig. Klar ist auch: Im Journalismus und im gesamten Bildungsbereich ist den Linken der Marsch durch die Institutionen bestens gelungen. Dort liegt alles in ihrer Hand. Sie haben viele Pfründe zu verteilen und können sich auf diese Weise immer weiter ausbreiten. Davon habe auch ich profitiert.

Doch dann kam der Bruch, denn ich habe zum katholischen Glauben zurückgefunden. Natürlich habe ich nicht von einem Tag auf den anderen alle meine Kontakte verloren. Von manchen profitiere ich noch heute. Manche Freundschaften sind zu Ende gegangen, weil die gemeinsame Basis nicht mehr da war. Doch mein Problem war: Ich verdiente mein Geld mit Schreiben. Mit Ideen. Als meine Ideen sich änderten, waren sie nicht mehr gefragt. Man bekommt nur einen Platz, wenn man das Richtige sagt. Ein Grund zu verzweifeln ist das freilich nicht. Es gibt schließlich noch andere und wahrscheinlich sogar ehrbarere Berufe als den des Journalisten oder des Hochschulgermanisten, und es schadet nicht, sich manchmal neu zu orientieren.

Aber das journalistische Schreiben wollte ich nicht ganz lassen. Ich hatte am Anfang die Idee, ich könnte mein Wissen und mein journalistisches Können nutzen, um etwas für die Kirche zu tun. Natürlich habe ich nicht erwartet, daß es dort einen großen Markt für Texte gibt. Es ging mir auch nicht ums Verkaufen. Ich wollte einfach nur was Sinnvolles tun, doch eine Möglichkeit dazu zu finden, erwies sich als sehr zähes Unterfangen. Während im linksliberalen Milieu jeder gerne gesehen ist, der ungefähr die richtige Position vertritt und jedes Angebot, etwas für die gute Sache zu tun, mit Freuden angenommen wird, erlebte ich hier das Gegenteil: untereinander zerstrittene Grüppchen, ein Milieu, das in sich abgeschlossen wirkt und von tiefem Mißtrauen Außenstehenden gegenüber geprägt ist – was sich sicher damit erklärt, daß es immer mehr an den Rand gedrängt wird. Da ich aus einem anderen Umfeld kam, war mein Blick scharf für die Unterschiede. Vieles verlief anders, als ich es gewohnt war. Während ich sonst auf Tagungen leicht mit Leuten ins Gespräch komme, erlebte ich z.B. auf einem katholischen Kongreß, wie es ist, unter Menschen richtig allein zu sein. Meine Versuche, mit kleineren katholischen Vereinen in Kontakt zu treten, weil ich gerne geholfen hätte, waren fruchtlos. Ich habe fünf Jahre lang mehrmals in der Woche in einer Gemeinde die Heilige Messe besucht, ohne daß mich irgendjemand angesprochen hätte. Klar, ich habe ab und zu mal jemanden angesprochen. Aber wieso gibt es in katholischen Gemeinden niemanden, der Neue begrüßt? In jeder Freikirche gibt es dafür ganze Teams. Wieso freut man sich nicht, wenn jemand helfen will? Ich habe es mir irgendwann damit erklärt, daß es an mir liegt: Wahrscheinlich fehlt mir der Stallgeruch, ist mein Habitus einfach nicht katholisch genug.

Was soll's. Zuletzt habe ich eine Möglichkeit gefunden, etwas für die Kirche zu tun. Da war viel glückliche Fügung dabei. Vielleicht hat es auch einfach nur seine Zeit gebraucht, wenn auch eine sehr lange Zeit. Den Wunsch, Anschluß an eine Gemeinde zu finden, habe ich nicht mehr. Ich gehe sonntags in die Alte Messe und ab und zu unterhalte ich mich mit einem netten und klugen älteren Herrn. Es ist schön, dafür bin ich dankbar.

Vielleicht machen Andere, die zur Kirche finden, andere Erfahrungen als ich, das würde ich mir wünschen. Dennoch: Ein bißchen was von den Linken abgucken könnte man sich schon.

Sonntag, 24. Juli 2011

Ehe als Privileg

Vor kurzem war ich mit einer Freundin in einer Gemäldeausstellung. Ihr fiel auf, daß auf mittelalterlichen Gemälden die körperlichen Proportionen nicht stimmen: Kinder mit den Körpern kleiner Erwachsener, völlig aus den Fugen geratene Körperformen. Sie führte dies darauf zurück, daß die Maler im Mittelalter zu prüde waren, sich nackte Menschen anzusehen und deshalb nicht wußten, wie Körper aussehen. Sie hatte sich freilich nie mit dem Mittelalter beschäftigt, nur die Denkfigur war da: Der glorreichen Ungezwungenheit unserer Tage steht ein düsteres, zwanghaftes Mittelalter gegenüber. Das Fortschrittsparadigma führt eben zu einer selektiven oder verdrehten Wahrnehmung der Vergangenheit. 
Doch sicher pflegt jeder falsche Vorstellungen über die Vergangenheit. Das, was zurückliegt, eröffnet einen unendlichen Raum für Projektionen – gleichgültig, ob man auf düstere oder goldene Zeiten zurückblicken möchte.
Mir sind häufig religiöse Menschen begegnet, die denken, früher hätten fast alle früh geheiratet. Wer ehelos blieb und sich nicht für ein Ordensleben oder das Priestertum entschied, sei ein Außenseiter, eine bedauernswerte, kauzige oder halb komische Figur gewesen. 
Freilich gab es zu allen Zeiten Gesellschaften, in denen eine frühe Heirat gefordert wurde oder erwünscht war. Es gibt sie auch heute. Doch ganz so einfach war es mit dem Heiraten früher nicht. Von der Obrigkeit erlassene Ehebeschränkungen waren bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Regel. Oft war zum Beispiel die Heirat mit Ortsfremden verboten oder der Nachweis eines Mindestvermögens oder eines bestimmten beruflichen Status notwendig. Das führte dazu, daß viele Menschen ledig blieben oder erst spät heirateten. Das Vorhandensein vieler Singles ist also kein Exklusivmerkmal westlicher Metropolen unserer Zeit. Es gab durchaus Zeiten, in denen es ein Privileg war, heiraten zu dürfen ...
Doch waren auch die Vorstellungen von Ehe anders als heute. Lange Zeit war sie in erster Linie eine wirtschaftliche oder dynastische Angelegenheit. Die Vorstellung, daß Liebe, Ehe und Sexualität untrennbar zusammengehören und die Liebe den familiären Zusammenhalt begründet, wurde erst im ausgehenden 18. Jahrhundert vor allem im aufstrebenden Bürgertum populär. Erst da bekam das Gefühl der Liebe den Status, den es heute hat. Eheliche Liebe wurde zur Herzensangelegenheit. Dabei entstanden neue Zwänge: Das Gefühl, unberechenbar und diktatorisch wie es ist, übernahm die Herrschaft. Doch ein flüchtiges Gefühl kann keine Beständigkeit garantieren, und überall lauert die Gefahr schwerer emotionaler Verletzungen. 
Wie dem auch sei: Es kann sehr schwer sein, einen Ehepartner zu finden. Gründe gibt es viele: Man findet niemanden, wird immer wieder verlassen, hält sich nicht für liebenswert, andere halten einen nicht für liebenswert, man ist zu attraktiv oder zu unattraktiv, zu anspruchsvoll oder zu kompromißbereit, zu zurückhaltend, zu kompliziert, zu ängstlich, hat kein großes Interesse an sexueller Betätigung, keine Gelegenheit, jemanden kennenzulernen, zuviele schlechte Erfahrungen gemacht, ist nur Menschen begegnet, die vollkommene Übereinstimmung suchen. Oft hat man es nicht in der Hand, und selbst eine jahrelange Parship-Mitgliedschaft bietet keine Garantien. Und wer verzweifelt sucht, so lautet die Regel, findet erst recht nicht. Man braucht auch ein bißchen Glück. Und letztlich: Wenn man einen Partner findet, ist das ein Geschenk. Einen Anspruch darauf hat man nicht.
Auf katholischen Veranstaltungen, gerade aus dem sogenannten neokonservativen Spektrum, sehe ich oft viele kinderreiche Familien. (Ich vermute, daß es bei den Traditionalisten ganz ähnlich ist.) Aus meiner Single-Sicht also: reich Beschenkte. Diese wecken oft den Eindruck, daß sie unter sich bleiben wollen, sich nur mit anderen Müttern oder Vätern austauschen wollen. Das verstehe ich, denn wahrscheinlich haben sie in ihrem Lebensumfeld nicht so viel Gelegenheit zum Austausch. Nur würde ich mir wünschen, daß man mich mit dem Klischee vom hedonistischen Single-Leben verschont. Das höre ich einfach zu oft: Singles seien egoistisch, denken nur an Spaß, tun nicht Gottes Willen. Oder man müsse einfach mehr beten, dann wird es schon klappen. 
Doch daß Gott alle Wünsche erfüllt, wäre mir neu. Daß er die, die ihn lieben, mit einem wohlanständigen Familienleben belohnt ebenfalls. Gott ist nicht dazu da, die Glücklichen noch glücklicher und die Erfolgreichen noch erfolgreicher zu machen.
Ich habe schon oft gehört, daß Menschen sich nur in der Liebe verwirklichen können – in der Liebe zu einem Ehepartner oder zu Gott (und mit Liebe zu Gott ist dann in der Regel eine religiöse Berufung gemeint). Das mag sein. Aber in einer gefallenen Welt haben eben nicht alle die Möglichkeit, ihre Bestimmung zu verwirklichen. Im Gegenteil: Die Wenigsten haben diese Möglichkeit. Wieviel Prozent der Menschen führen denn ein Leben, das dazu lang genug ist?
Man muß das nicht begreifen, aber man muß es akzeptieren. Man kann darauf hoffen, getröstet zu werden. Doch wenn das so ist, kann es auch nicht entscheidend sein, daß man sich ein bürgerliches Familienidyll errichtet und auf diese Weise sein gottgefälliges Leben unter Beweis stellt. Es ist schön, wenn man so reich beschenkt wird. Aber entscheidend ist nur der Glaube an Christus.