Montag, 17. August 2009

Goldene Zukunft?

Ob C.S. Lewis hierbei nicht vielleicht an seine Kollegen an der Universität gedacht hat?

Teufel zum Unterteufel:

"Aber der größte Triumph in diesem ganzen Unternehmen ist die Erhebung dieses Schreckens vor "immer denselben alten Dingen" zu einer Philosophie, so daß intellektueller Unsinn die Verderbnis des Willens noch verstärkt. Hier nun erweist sich der allgemein verbreitete evolutionistische oder historische Charakter des modernen europäischen Denkens (zum großen Teil unser Werk) als überaus nützlich. Der Feind [also: Gott] liebt Plattheiten. Er verlangt Menschen, die, soweit ich das zu erkennen vermag, an ein Vorhaben sehr einfache Fragen stellen wie: Ist es gerecht? Ist es klug? Ist es möglich? - Gelingt es uns nun, die Menschen statt dessen fragen zu lassen: Ist es in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Zug unserer Zeit? Ist es fortschrittlich oder reaktionär? Bewegt sich die Geschichte in dieser Richtung? - dann werden sie die eigentlichen Fragen vernachlässigen, und die Fragen, die sie stellen, sind natürlich unbeantwortbar, denn sie kennen ja die Zukunft nicht. [...] Es gab eine Zeit, da wußten sie, daß gewisse Änderungen zum Besseren, andere zum Schlimmeren führen und wieder andere gleichgültig sind. Wir haben ihnen dieses Wissen zum guten Teil geraubt. An die Stelle des beschreibenden Eigenschaftswortes "unverändert" haben wir das gefühlsmäßige Adjektiv "stagnierend" gesetzt. Wir lehrten sie, die Zukunft als ein verheißenes Land anzusehen, das nur begünstigte Helden erreichen, niemals aber als etwas, das jeder, möge er sein oder tun, was er wolle, mit der Geschwindigkeit von sechzig Minuten in der Stunde erreicht."

(C.S. Lewis: Dienstanweisung für einen Unterteufel, Freiburg i. Br.: Herder 1992, S. 110f.)

Mich zumindest erinnert das an jene germanistischen Studien, denen ich die langweiligsten Stunden meines Lebens verdanke. Langweilig vor allem, weil sie mich immer wieder mit derselben fortschrittsseligen Geschichtsdeutung konfrontiert haben. Und die läßt sich meistens leider auf eine sehr schlichte Formel bringen, etwa so: Was früher anders war als heute, ist veraltet und zu verachten. In den letzten Wochen habe ich einige Arbeiten über Schnitzler gelesen. Kaum eine hat darauf verzichtet, die "repressive Sexualmoral" der Zeit um 1900 zu beklagen. (Vor Puritanismus muß heute eben dringend gewarnt werden!) Da wird dann die Vergangenheit an heutigen Maßstäben gemessen, nähert man sich ihr mit erhobenem Zeigefinger und sagt ihr so richtig schön die Meinung. Wäre es nicht besser, die Vergangenheit unvoreingenommen zu betrachten?

Außerdem würde ich gerne mal was Anderes lesen.  Es könnte doch mal einer die Sache umdrehen und sich fragen, was Novalis, Proust, Thomas Mann oder Andreas Gryphius sagen würden, wenn man sie in unsere Zeit versetzen würde. Würde Kierkegaard sich vor dem Poststrukturalismus verneigen? Würde Oscar Wilde sich gerne kleiden wie die Männer heute? Wäre unsere Gegenwart von der Vergangenheit aus betrachtet tatsächlich das Land der Verheißung? Schon diese einfachen Fragen zeigen, daß der zivilreligiöse Fortschrittsglaube der Wirklichkeit nur schwer standhält und im Übrigen doch recht einfältig ist. Und wenn man noch weiter fragt, sieht es nicht besser aus. Ich würde mich z.B. freuen, wenn auch nur einer ernsthaft – wirklich ernsthaft - versuchen würde darzulegen, warum das blutige 20. Jahrhundert soviel besser war als meinetwegen das 13. Oder ob der Glaube der Aufklärer an den stets wachsenden sittlichen Fortschritt der Menschheit sich bewährt hat – ist das Böse in den letzten 200 Jahren weniger geworden? Ich meine damit nicht, daß man dem Fortschrittsglauben zwangsläufig die Vorstellung des Verfalls entgegensetzen muß. Aber ein bißchen mehr Demut bei der Betrachtung von Geschichte würde nicht schaden: Statt „Wir sind besser“ könnte man doch einfach sagen: "Damals war es anders als heute."