Freitag, 25. März 2011

Haie

Anfang Februar hat ein Hai am Strand von Cancún eine kanadische Touristin angefallen. Die mexikanischen Zeitungen widmeten diesem Vorfall viele Artikel: Ist doch ein Haiangriff für den Tourismus dort ein großer Unglücksfall. Die örtlichen Behörden reagierten schnell. Sie erlaubten schon am nächsten Tag den Fischern, soviele Haie wie möglich zu töten.

Die Fischer töteten 70 Haie. Diese Tat erscheint zugleich vernunftwidrig, nachvollziehbar und ohnmächtig. Vernunftwidrig, weil sie keine Wirkung zeigen kann, es war ein sinnloses Schlachten. Nachvollziehbar als Zeichen, nicht nur, um die Touristen zu beruhigen, sondern auch aus gewichtigeren Gründen: Durch den Akt der Tötung versuchte man die Haie und damit die Natur der menschlichen Ordnung zu unterwerfen – einer Ordnung also, die Krieg, Gerechtigkeit, Rache, Strafe und Abschreckung kennt. „Ihr habt einen von uns angegriffen, wir töten 70 von euch.“ Eine solche Tat wäre kraftvoll und überzeugend, wenn sie auf einen vernünftigen Gegner stoßen würde.

Doch gerade dies ist nicht der Fall. Durch die Tötung der Haie wird die Ohnmacht des Menschen sichtbar, denn man tröstete sich einen Moment lang mit der Illusion, die Natur sei beherrschbar. Dabei bleibt sie bedrohlich. Und gerade heute, wo die Natur vergöttert wird und der Ökologismus längst den Rang einer Ersatzreligion hat, schadet es nicht, daran zu erinnern, daß die Natur nicht nur schön, sondern auch ein übermächtiger Gegner des Menschen sein kann. Jede Freiheit mußte er ihr erst abringen. Das vergißt man leicht, solange man sich in Sicherheit wiegt.

Haiangriffe erschrecken, selbst dann, wenn sie glimpflich verlaufen: Dies ist ihrem symbolischen Charakter geschuldet. Denn sie machen sichtbar, wie brüchig die Schutzzonen sind, die die Menschen sich geschaffen haben. Vor der Natur gibt es keine Rettung. Und wenn in den deutschen Medien weniger von dem Erdbeben und dem Tsunami die Rede ist, die in Japan viele Tausend Menschen das Leben gekostet haben, sondern ein damit verbundener Atomunfall geradezu hysterische Reaktionen hervorruft, mag nicht nur Berechnung dahinterstecken (auch wenn ein solcher Vorfall hier leider sehr vielen gut ins Konzept paßt). Vielleicht ist auch das ein schwächlicher Versuch, eine Naturkatastrophe vor dem Hintergrund einer von Menschen erschaffenen Ordnung zu betrachten. Denn Atomkraftwerke lassen sich abstellen, Erdbeben nicht. Die Ohnmacht des Menschen wird um so deutlicher sichtbar.

Dienstag, 22. März 2011

Zweifel und Bestandsaufnahme

Im Zweifeln ist die Urangst aufgehoben, daß kein Gott ist, wir verwaist sind und das Universum leer ist. Doch Zweifel sind auch die Flügel, die dem Glauben helfen, sich fortzubewegen.

Meine letzte Glaubenskrise ist schon ein paar Monate her. Ich war kurz davor, den Glauben zu verlieren - weil ich den Glauben verlieren wollte. Doch waren nicht Zweifel an der Wahrheit des Glaubens der Grund, sondern Abneigung gegen die verschiedenen katholischen Milieus. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir das eingestanden habe. Doch dann konnte ich auch mit dem konservativen Katholizismus in seiner deutschen Ausprägung endgültig brechen. Dort begegnete mir das Christentum zu oft in Gestalt eines einseitigen Moralismus.

Zum Glück ist der Glaube größer als das alles. Ich dachte darüber nach, was Glaube nicht ist, um mich dem annähern zu können was Glaube ist.

Ein erster Schritt war es für mich zu erkennen, daß Glaube und Gruppenidentität nicht identisch sind. Es ist leicht, sich als der bessere Christ zu fühlen, weil man eine bestimmte Meinung vertritt, konservativ ist oder liberal, sich mit anderen verbündet im Kampf gegen den Gegner. Doch letztlich weiß ich nicht, ob die alte Frau, die denkt, die Abschaffung des Zölibats wäre gut für die Kirche, Christus nicht mehr liebt als ich. Die Erkenntnis ist schwach, jeder pflegt seine Irrtümer und nur Gott kennt die Herzen.

Glaube ist nicht Ideologie. Er ist nicht identisch mit dem Fortschrittsglauben, der die Grundmelodie der säkularen Welt bildet - auch wenn oft versucht wird, diesen in den religiösen Bereich hineinzutransportieren. Zum Scheitern verurteilt ist aber auch der Traum, hinter die Moderne zurückzugehen. Mir begegneten Menschen, die von vergangenen goldenen Zeiten träumen, und ich gebe zu, daß dies reizvoll sein kann. Allerdings gibt es in der Geschichte keine goldenen Zeiten. Die Welt war auch 1950 schon gefallen, sie war es in der Barockzeit und im Mittelalter.

Sicher darf man Glauben auch nicht verwechseln mit der Begeisterung in den ersten Jahren nach der Re- oder Konversion. Der anfängliche Überschwang vergeht wie Verliebtheit. Ich merkte plötzlich: Da ist kein Gefühl mehr, nur Pflicht.

Die ästhetische Ergriffenheit, wenn man etwas sieht oder hört, was einem gefällt, seien es alte Choräle oder neue geistliche Lieder, seien es gotische Kathedralen oder karge neue Kirchenbauten, ist auch kein Glaube. Kunst kann zum Glauben führen, doch sie ist bloß Mittel und Weg. Ich war in der tridentinischen Messe, hörte gregorianischen Choral und es hat mich nicht berührt. Es war gut, denn ich gewann dadurch Freiheit.

Glaube ist nicht die gute Atmosphäre, die von einzelnen Personen geschaffen wird. Sie verschwindet, wenn diese Personen gehen, und man ist traurig. Dann zu bleiben ist wirklich schwer.

Glaube ist nicht Erkenntnisgewinn. Wenn man, frisch bekehrt, den Glauben entdeckt hat, droht die größte Gefahr: Hochmut. Es entfernt einen von Gott, wenn man anfängt zu denken, man sei anderen im Glauben voraus, weil diese sich in dem einen oder anderen Punkt irren. Wenn man versucht, mit Hilfe des Glaubens das Selbstwertgefühl aufzumöbeln. Sich wünscht, daß andere sehen, daß man mehr kniet als sie, demütiger ist als sie, die Kommunion würdiger empfängt, mehr und inniger betet, angemessener gekleidet ist. Wenn man zu glauben anfängt, man sei Gott näher als der Banknachbar.

Wenn Hochmut so gefährlich ist, liegt der Kern des Glaubens vielleicht in der Demut. Es schadet also nicht zu erkennen, wie wenig man weiß und wie schwach der eigene Glaube ist. Es schadet auch nicht, wenn das Vertrauen in die eigene Standfestigkeit erschüttert wird. Deshalb können Phasen der Dunkelheit und Müdigkeit ein Geschenk sein. Wenn Kleinigkeiten genügen, um Zweifel zu wecken; wenn man nicht mehr beten will und sich in die Sonntagsmesse zwingt; wenn man erkennt: hier gehöre ich nicht hin; wenn man 100 Mal am Tag denkt: ohne Glauben ginge es mir besser. Und wenn am Ende die Erkenntnis bleibt: Ich bin zu schwach zu glauben. Ich kann es nicht. Nicht ohne Deine Hilfe. Wenn man erkennt, daß man sich selbst nicht retten kann ...

... dann ist man vielleicht bereit zum nächsten Schritt: zu erkennen, daß man den eigenen Willen aufgeben muß, um Seinen tun zu können. Kann man jemals soweit kommen?

Montag, 21. März 2011

Zurück in Deutschland

Ich war eine Weile unterwegs und bin nach Deutschland zurückgekehrt. Es gibt vieles, was ich neu zu schätzen lerne: die Verläßlichkeit und daß fast alles funktioniert; der Hausarzt ist nur ein paar Schritte von der Wohnung entfernt und man bekommt sofort einen Termin; in den Supermärkten gibt es nicht nur Süßigkeiten, Chips und Softgetränke wie in manchen weit entfernten Ländern; Hotelzimmer ohne Kakerlaken; die Geradlinigkeit hier. Manches funktioniert allerdings nicht mehr so wie früher: Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen nach Hause brachte, kannte meine Straße nicht und wußte noch nicht einmal den Weg zum Frankfurter Hauptbahnhof, er sprach kein Deutsch, war schwerhörig und konnte rechts und links nicht unterscheiden. Das habe ich erst gemerkt, nachdem er losgefahren war. Typisch, das ist Frankfurt, ein Taxifahrer als Symbol für die ganze multikultiversessene Unzulänglichkeit der Stadt.

Blickt man nach langer Zeit in deutsche Zeitungen, zeigt das Land sofort seine infamste Seite. Überall auf der Welt liest man von Tsunami und Erdbeben und von Leid und Tapferkeit der Japaner - nur hier gibt‘s einen Atom-Gau, der aus tagespolitischen Gründen beinahe herbeigesehnt wird. Widerlich.

Mir kommt der Gedanke, daß die Deutschen in Ordnung sind. Nur sollten sie sich von dieser durchideologisierten politischen Klasse und der diese begleitenden linken Journaille befreien.

Ist es eine Eigenschaft der Deutschen, sich in Ideologien hineinzusteigern und dabei Herzenskälte zu entwickeln? Blickt man von Außen auf das Land, wirkt es so. Vor allem, wenn man auf die Kirche blickt, und das ist tragisch. Die katholische Kirche in ihrer Ausformung hier würde woanders nur Kopfschütteln hervorrufen. Lieben sie einander? Gewiß nicht. Hier inszeniert man ideologische Grabenkämpfe zwischen Konservativen und Liberalen, veranstaltet Demos, Kundgebungen und erstellt Unterschriftenlisten ... Kann man hier überhaupt katholisch sein, ohne in irgendwelche politisierenden Auseinandersetzungen mit hineingezogen zu werden? Wenn man gesehen hat, mit wieviel Liebe zu Gott und dem Nächsten woanders Messe gefeiert wird, wecken die deutschen Verhältnisse nur noch Ekel. Und doch braucht man nur ein wenig zu verreisen, und die ganzen Auseinandersetzungen hier kommen einem vor wie ein Sturm im Wasserglas.

Germany's next topmodel

Was ist dein größter Wunsch? Die Frage ist verräterisch. Mit der Antwort offenbart man den Entwurf des eigenen Ichs. Man erklärt, was im eigenen Leben den höchsten Wert darstellt. Und meist ist man nicht Individualist genug um zu denken, daß die eigenen Ziele nicht auch von einem großen Teil der Menschheit geteilt werden sollten. Wer sich eine glückliche Ehe oder Reichtum wünscht, denkt gewiß, daß auch andere danach streben sollten. So erlauben die Wünsche, die man hegt, Rückschlüsse auf das Menschenbild. Schon deshalb wecken Antworten wie „Porsche“, „beim Triathlon mitmachen“, „wieder in Größe 36 passen“, „F-Körbchen“ oder „ohne Ende Burger essen können“  verdientes Mißtrauen.

Wünsche ändern sich. Im Leben vieler Mädchen gibt es eine Zeit, in der es ihr größter Wunsch ist, Popstar oder Topmodel zu werden. Mit 13 wäre ich auch gerne Model geworden. Aber damals war das Leben eines Supermodels noch eine Verheißung. Es war die Zeit von Naomi Campbell, Linda Evangelista, Claudia Schiffer, Cindy Crawford und Christy Turlington. Diese fünf standen nur eine Stufe unter einer Diva, waren geheimnisumwittert, hatten eine Aura der Unerreichbarkeit und beinahe der Zeitenthobenheit, und wenn sie sich exzentrisch zeigten, war dies um so faszinierender. Genauso werden zu wollen - von der Welt und den Männern angebetet, schön, erfolgreich und ganz man selbst - für Teenager mit ihrem alterstypischen Narzißmus ein angemessenes Ziel.

Doch dann kam Heidi. Niemand käme auf die Idee, Heidi Klum als Diva zu bezeichnen. Sie hat ihren Beruf mit dem Ethos einer übereifrigen Sekretärin ausgeübt. Stets diszipliniert, übertrieben korrekt, fleißig, den Wünschen ihres Auftraggebers willenlos ergeben, ihr Soll immer übererfüllend. Sie hat es so weit getrieben, daß sie heute - mit knapp 38 Jahren - schon Züge einer komischen Alten entwickelt: Noch ist sie schön, aber das Schrille und Affektierte in ihrer Stimme, ihrer Gestik und ihrem Auftreten erinnert an Frauen, die sich viele Jahre nichts gegönnt haben, vor allem kein Glück und keine Pflichtvergessenheit. Heidi Klum hat die Figur des Supermodels entzaubert. Danach war alles Business-as-usual.

Ihr Erfolgsrezept machte sie zu einem Geschäftsmodell, und so entstand „Germany‘s next Topmodel“. Es ist nicht so, daß sie den Mädchen, die sich bei ihr bewerben, falsche Versprechungen machen würde. Die Nachwuchsmodels lernen, daß sie sich in High Heels, die nicht passen, die Füße blutig laufen und dabei lächeln müssen wie in einem bösen Märchen, ihre Bedürfnisse, ihre Beziehungen, Freundschaften, Gefühle und Erkältungen ignorieren, stets überzeugen, lächeln, willenlos gehorchen müssen, und als Belohnung winken noch nicht einmal Ruhm und viel Geld, sondern ein Job als C&A-Model.

Als ich mit 13 Supermodel werden wollte, war das etwas Ähnliches wie eine Prinzessin. Doch damals gab es noch kein Internet und viel mehr Geheimnisse. Und zum Glück gab es nicht die Möglichkeit, seine Wünsche an solche Retortenshows zu vergeuden. Keines der Mädchen, die sich bei Heidi Klum bewerben, kann noch ernsthaft der Illusion anhängen, ein Leben als Fotomodell sei groß und bewundernswert. Was also treibt diese Mädchen an? Wie traurig muß eine Jugend sein, wenn das ein Wunschtraum ist? Da ist doch sogar ein Bachelor in Betriebswirtschaftslehre glamouröser. Nein, ich verstehe es nicht.