Dienstag, 22. März 2011

Zweifel und Bestandsaufnahme

Im Zweifeln ist die Urangst aufgehoben, daß kein Gott ist, wir verwaist sind und das Universum leer ist. Doch Zweifel sind auch die Flügel, die dem Glauben helfen, sich fortzubewegen.

Meine letzte Glaubenskrise ist schon ein paar Monate her. Ich war kurz davor, den Glauben zu verlieren - weil ich den Glauben verlieren wollte. Doch waren nicht Zweifel an der Wahrheit des Glaubens der Grund, sondern Abneigung gegen die verschiedenen katholischen Milieus. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir das eingestanden habe. Doch dann konnte ich auch mit dem konservativen Katholizismus in seiner deutschen Ausprägung endgültig brechen. Dort begegnete mir das Christentum zu oft in Gestalt eines einseitigen Moralismus.

Zum Glück ist der Glaube größer als das alles. Ich dachte darüber nach, was Glaube nicht ist, um mich dem annähern zu können was Glaube ist.

Ein erster Schritt war es für mich zu erkennen, daß Glaube und Gruppenidentität nicht identisch sind. Es ist leicht, sich als der bessere Christ zu fühlen, weil man eine bestimmte Meinung vertritt, konservativ ist oder liberal, sich mit anderen verbündet im Kampf gegen den Gegner. Doch letztlich weiß ich nicht, ob die alte Frau, die denkt, die Abschaffung des Zölibats wäre gut für die Kirche, Christus nicht mehr liebt als ich. Die Erkenntnis ist schwach, jeder pflegt seine Irrtümer und nur Gott kennt die Herzen.

Glaube ist nicht Ideologie. Er ist nicht identisch mit dem Fortschrittsglauben, der die Grundmelodie der säkularen Welt bildet - auch wenn oft versucht wird, diesen in den religiösen Bereich hineinzutransportieren. Zum Scheitern verurteilt ist aber auch der Traum, hinter die Moderne zurückzugehen. Mir begegneten Menschen, die von vergangenen goldenen Zeiten träumen, und ich gebe zu, daß dies reizvoll sein kann. Allerdings gibt es in der Geschichte keine goldenen Zeiten. Die Welt war auch 1950 schon gefallen, sie war es in der Barockzeit und im Mittelalter.

Sicher darf man Glauben auch nicht verwechseln mit der Begeisterung in den ersten Jahren nach der Re- oder Konversion. Der anfängliche Überschwang vergeht wie Verliebtheit. Ich merkte plötzlich: Da ist kein Gefühl mehr, nur Pflicht.

Die ästhetische Ergriffenheit, wenn man etwas sieht oder hört, was einem gefällt, seien es alte Choräle oder neue geistliche Lieder, seien es gotische Kathedralen oder karge neue Kirchenbauten, ist auch kein Glaube. Kunst kann zum Glauben führen, doch sie ist bloß Mittel und Weg. Ich war in der tridentinischen Messe, hörte gregorianischen Choral und es hat mich nicht berührt. Es war gut, denn ich gewann dadurch Freiheit.

Glaube ist nicht die gute Atmosphäre, die von einzelnen Personen geschaffen wird. Sie verschwindet, wenn diese Personen gehen, und man ist traurig. Dann zu bleiben ist wirklich schwer.

Glaube ist nicht Erkenntnisgewinn. Wenn man, frisch bekehrt, den Glauben entdeckt hat, droht die größte Gefahr: Hochmut. Es entfernt einen von Gott, wenn man anfängt zu denken, man sei anderen im Glauben voraus, weil diese sich in dem einen oder anderen Punkt irren. Wenn man versucht, mit Hilfe des Glaubens das Selbstwertgefühl aufzumöbeln. Sich wünscht, daß andere sehen, daß man mehr kniet als sie, demütiger ist als sie, die Kommunion würdiger empfängt, mehr und inniger betet, angemessener gekleidet ist. Wenn man zu glauben anfängt, man sei Gott näher als der Banknachbar.

Wenn Hochmut so gefährlich ist, liegt der Kern des Glaubens vielleicht in der Demut. Es schadet also nicht zu erkennen, wie wenig man weiß und wie schwach der eigene Glaube ist. Es schadet auch nicht, wenn das Vertrauen in die eigene Standfestigkeit erschüttert wird. Deshalb können Phasen der Dunkelheit und Müdigkeit ein Geschenk sein. Wenn Kleinigkeiten genügen, um Zweifel zu wecken; wenn man nicht mehr beten will und sich in die Sonntagsmesse zwingt; wenn man erkennt: hier gehöre ich nicht hin; wenn man 100 Mal am Tag denkt: ohne Glauben ginge es mir besser. Und wenn am Ende die Erkenntnis bleibt: Ich bin zu schwach zu glauben. Ich kann es nicht. Nicht ohne Deine Hilfe. Wenn man erkennt, daß man sich selbst nicht retten kann ...

... dann ist man vielleicht bereit zum nächsten Schritt: zu erkennen, daß man den eigenen Willen aufgeben muß, um Seinen tun zu können. Kann man jemals soweit kommen?

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