Freitag, 29. Oktober 2010

Ich schreibe wie ...

Nachdem Johannes (http://materamata.blogspot.com/2010/10/oy-vey.html) von seinen Erfahrungen mit der FAZ-Seite „Ich schreibe wie“ berichtet hat, mußte ich das auch gleich ausprobieren. Also habe ich zwei Texte eingestellt. Zuerst einen für berufliche Zwecke. Ergebnis: Ich schreibe wie Melinda Nadj Abonji. Upps, wer ist das denn? Ein verbreiteter Internet-Suchdienst verrät mir: Melinda Nadj Abonji ist eine junge Schrifstellerin ungarischer Herkunft, die in der Schweiz lebt und sich vor allem als Performerin von Slam Poetry hervorgetan hat. Das Feuilleton der NZZ rühmt außerdem den Beat ihrer Sprache. Ich bin beeindruckt. Was für ungeahnte Talente schlummern doch in mir! Hoffentlich erfährt das mein Brötchengeber nicht. Slam Poetry ist, glaube ich, nicht das, was er von mir erwartet.

Zweiter Versuch, ein Text aus diesem Blog. Und das Ergebnis: Ich ... ähem ... Räusper ... also, ich ... hüstel ... Doch, es muß heraus: Ich – schreibe – wie – Johann – Wolfgang – naja, ihr wißt schon. Jahahaaa! Wie unser Dichterfürst! Welch ungeahnte Möglichkeiten tun sich da auf! Ich könnte meinen Künstlernamen ändern. „Johnny G.“ - das wäre doch eine passende Kombination meiner beiden literarischen Existenzweisen. Vielleicht sollten wir das Blog nur noch für zahlende Leser öffnen? Mal mit Benita darüber reden. Jetzt muß ich mich erst mal in meine Dichterklause zurückziehen. Und gründlich über meine weitere Karriere nachdenken. Mein seit langem nicht geschriebener Roman harrt der Veröffentlichung.

Jacopone

Sonntag, 24. Oktober 2010

Ein Schutzengel für Deutschland

Daß Deutschland sich abschafft, ist nicht erst seit Thilo Sarrazins Buch mit Händen zu greifen. Im Grunde reicht schon der Gang durch das Zentrum einer beliebigen deutschen Großstadt, um das zu sehen. Sarrazin analysiert diesen Vorgang soziologisch, ökonomisch, politisch, beschäftigt sich mit Bildungswesen, Zuwanderung und Sozialpolitik. Das ist sicher alles richtig und notwendig. Im Grunde aber ist doch die eigentliche Ursache dieser Misere spiritueller Art und mit dem Namen Auschwitz verknüpft.

Auschwitz, so meinte Günter Grass, habe den Deutschen eine privilegierte Erkenntnis verschafft: „Jetzt endlich kennen wir uns.“ In Auschwitz wäre demnach das deutsche Volk zu sich selbst gekommen. Ein monströses Verbrechen soll Kern unserer nationalen Identität sein und uns vor allen anderen Völkern auszeichnen. Kein Wunder, daß die Generationen, denen dieses Denken eingeimpft wurde, von deutscher Kultur nichts mehr wissen wollen und das allmähliche Verschwinden des eigenen Volkes scheinbar klaglos hinnehmen.

Um es gleich zu sagen: Ich möchte weder den Holocaust relativieren noch die Zahl seiner Opfer klein rechnen. Außerdem möchte ich auch keine Diskussion über die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg führen. Ich finde nur, daß die gegenwärtige herrschende Form von „Vergangenheitsbewältigung“ weder menschlich förderlich noch wirklich christlich ist. Und ich frage mich, ob es dazu nicht eine aus dem Glauben entwickelte Alternative geben kann. In dem schönen, wenn auch dogmatisch etwas beliebigen Buch „Das Schweigen der Engel. Einführung in die Angelologie“ von Andrei Plesu (Berlin: University Press 2007) bin ich auf eine Überlieferung gestoßen, die vom Alten Testament bis zu den Kirchenvätern reicht. Demnach haben auch die Nationen ihren Engel, den Gott ihnen zugewiesen hat. Origenes lehrt, daß die menschlichen Sprachen von Engeln geschaffen wurden. Am Ursprung jeder Volksgemeinschaft steht also, schreibt Plesu, „ein Engel, ein spirituelles Prinzip, das in der Seinsweise dieser Gemeinschaft, in ihrem historischen Schicksal, in ihrer Sprache und Kultur seinen Ausdruck findet“. Ein Engel, nicht ein KZ-Wärter, und auch nicht Adolf Hitler.

Für Plesu sind die Engel der Nationen ein Argument gegen das „nationalistische Ketzertum“: Wer seine eigene Nation über die anderen stellt, der wendet sich gegen alle anderen Engel und damit letzten Endes auch gegen Gott. Das ist richtig, gilt aber auch umgekehrt, für die Verachtung des eigenen Volkes. Denn ebenso wie uns der individuelle Selbstmord nicht gestattet ist, dürfen sich auch die Völker nicht selbst aufgeben. Und über unsere Schuld urteilen nicht wir selbst. Die Engel jedenfalls, so Plesu, identifizieren sich so mit den Völkern, die sie behüten, daß sie mit ihnen gemeinsam vor das Jüngste Gericht treten.

Das mag vielleicht spinnert klingen. In den politischen Diskurs einspeisen kann man es auch nicht. Aber was hindert uns eigentlich daran, unsere spirituelle Tradition ernst zu nehmen? Denn der nationale Selbsthaß könnte doch am ehesten geheilt werden, wenn wir wieder glauben könnten, daß auch unserer Geschichte ein spirituelles Prinzip zugrunde liegt.