Mittwoch, 30. September 2009

Die gespenstischen Anfänge der Gender-Theorie

In Memoriam David Reimer (22. August 1965 als Bruce Reimer – 4. Mai 2004) und Brian Reimer (22. August 1965- 1. Juli 2002)

Den Namen David Reimer kennen die wenigsten. Doch sollte er immer fallen, wenn von der Gender-Theorie die Rede ist und die Vorstellung propagiert wird, die geschlechtliche Identität sei keine biologische, sondern eine soziale Festlegung. David Reimer ist das erste Opfer dieser Ideologie, und sein trauriges Schicksal beweist ihr vollständiges Scheitern. Er wurde zu einem menschlichen Versuchskaninchen gemacht, zum Mittelpunkt eines skrupellosen Experiments. Aus ihm wurde gewaltsam ein Mädchen gemacht.

Am 22. August 1965 kamen im kanadischen Winnipeg die eineiigen Zwillinge Brian und Bruce Reimer zur Welt. Mit sieben Monaten wurden sie für eine Vorhautbeschneidung ins Krankenhaus eingewiesen. Durch einen Fehler bei der Operation wurde Bruce schwer verletzt, er verlor seinen Penis. Eine Rekonstruktion war beim damaligen Stand der Medizin nicht möglich. Die Eltern, Ron und Janet Reimer, sprachen mit vielen Ärzten, doch keiner konnte ihrem Jungen helfen. Ihm wurde prognostiziert, daß er nie ein normales Sexualleben würde haben können und später allein bleiben müßte - „unvollständig und mit körperlichen Mängeln behaftet“ (Colapinto, S. 32). Wenige Monate später sahen die verzweifelten Eltern im Fernsehen den Sexualforscher Dr. John Money von der John Hopkins Universität in Baltimore. Ein charismatischer Mann voller Selbstvertrauen, der enthusiastisch über die Möglichkeiten der Geschlechtsumwandlung sprach. Ron und Janet waren aufgeregt, als sie ihn hörten, dennoch verstanden sie seine wichtigste Botschaft sofort: Das Geschlecht eines Babys spielt keine Rolle, denn man kann es verändern. Erziehung, nicht die Natur bestimme geschlechtliche Identität. So sei es möglich, aus einem kleinen Jungen ein kleines Mädchen zu machen. Zur Bekräftigung seiner Theorie hatte Money eine hübsche und betont feminine Frau mit in die Sendung gebracht, sie war geschminkt, trug einen kurzen Rock, hohe Schuhe: ein Transsexueller.

Die Reimers schöpften Hoffnung. Vielleicht war das eine Möglichkeit für ihren kleinen Bruce. Ron und Janet Reimer, zwei einfache junge Leute, beide erst 20, wollten für ihren Sohn das Beste. Sie schrieben an Money, und der Wissenschaftler lud die Familie nach Baltimore ein. Sie waren schnell einig: Aus Bruce sollte eine Frau werden.

Damals wußten die Reimers noch nicht, daß sie einem Irrtum aufsaßen. Sie waren davon überzeugt, daß Moneys Verfahren bereits erprobt sei. Doch dies war nicht der Fall: Der Beweis für seine Theorie mußte noch erbracht werden, und Bruce war in den Augen des Wissenschaftlers der ideale Kandidat. Ein besonderer Glücksfall war es, daß Bruce Teil eines Zwillingspaars war. So konnte sein Bruder Brian von Anfang an als Kontrollinstanz herhalten - „ein genetischer Klon, der mit einem intakten Penis und intakten Hoden als Junge aufwuchs“ (Colapinto, S. 13).

Dr. John Money, geboren 1921 in Neuseeland, war nach dem Zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten gegangen. Seit 1951 war er Professor für medizinische Psychologie in Baltimore. Er galt als brillanter Kopf, war aber berüchtigt für seine Wutanfälle. Auf den geringsten Widerspruch reagierte er mit ungewöhnlicher Schärfe. Seine Studien über Intersexuelle – Menschen, bei denen das körperliche Geschlecht uneindeutig ist – hatten ihn zu der Annahme geführt, daß nicht die Veranlagung, sondern Erziehung die Geschlechtsidentität maßgeblich bestimme. Die Theorie, die er bei seiner Arbeit mit Intersexuellen entwickelt hatte, verallgemeinerte er, weitete sie aus auf alle Kinder: Er ging davon aus, daß jeder Mensch als psychosexuell neutrales Wesen zur Welt komme. Geschlechtlichkeit sei bei der Geburt psychologisch noch nicht differenziert, dies geschehe erst durch Lernerfahrungen. So vermutete er, daß die psychosexuelle Veranlagung eines Kindes innerhalb der ersten zweieinhalb Lebensjahre leicht zu beeinflussen sei. Doch ein anderer Forscher stellte Moneys Theorien schon Mitte der 60er in Frage: Milton Diamond war überzeugt, daß vorgeburtliche Faktoren für die menschliche Geschlechtsidentität entscheidend seien und dem Einfluß von Erziehung, Kultur und Umwelt Grenzen setzten. Die Geschlechtsidentität sei schon kurz nach der Empfängnis ausgeprägt. Diamond bestritt, daß eine Geschlechtsneuzuweisung bei einem Kind möglich sei, dessen körperliches Geschlecht eindeutig war – daß man z.B. aus einem Jungen, der mit normalen Genitalien geboren war, ein Mädchen machen könne.

Money war also in Zugzwang geraten. Das Verfahren der Geschlechtsneuzuweisung war bisher nur bei Babys mit einer angeborenen Mißbildung vorgenommen worden. Die Reimers kamen für Money wie gerufen: An Bruce würde er seine Theorie überprüfen können, er sollte als Beispiel dienen für ein normal männlich geborenes Kind, das als ein unauffälliges und glückliches Mädchen aufwächst.

Money drängte die Eltern zur Eile. Denn Bruce war inzwischen 19 Monate alt. Wenn man zu lange wartete, erklärte er den Reimers, wäre seine Geschlechtsidentität als Junge bereits fest verankert. Bruce wurde einer Kastration und weiteren operativen Eingriffen unterzogen. Er wurde Brenda genannt und als Mädchen erzogen. Seine Eltern kauften ihm Röcke und Kleider, Schminke und Mädchenspielzeug. Niemand sagte ihm, daß er ein Junge war. Doch „Brenda“ wollte nicht mit Puppen oder ihrer Spielzeugnähmaschine spielen. Sie benutzte ihr Hüpfseil, um andere Kinder zu schlagen, spielte mit den Baggern und Kränen ihres Bruders Brian, wünschte sich Spielzeugautos und -pistolen, wollte toben, sich raufen, Soldat spielen. Mit zehn konnte „Brenda“ ausgezeichnet mit der Schrotflinte schießen, die ihre Eltern Brian gekauft hatten. Schon früh wurde „Brenda“ zum Gespött der anderen Kinder, weil sie den steifen Gang eines Revolverhelden hatte. Als Berufswunsch äußerte sie Müllmann, weil es ein leichter und gut bezahlter Job sei. Wenn sich die siebenjährige „Brenda“ ihre Zukunft vorstellte, sah sie sich als jungen Mann mit Schnurrbart, der einen Sportwagen fährt. Sie zeigte schlechte Leistungen in der Schule und war völlig isoliert. Die anderen Kinder nannten sie „Höhlenmensch“.

Janet Reimer mußte Money schriftlich von den Fortschritten des Kindes Bericht erstatten, und einmal im Jahr besuchten die Zwillinge den Wissenschaftler in Baltimore. „Brendas“ männliches Verhalten bezeichnete er – beschwichtigend – als typisches „Wildfangverhalten“. Vom Gelingen des Experiments überzeugt, veröffentlichte er die Geschichte von Bruce/Brenda als John/Joan-Fall, der später als eines der berühmtesten Fallbeispiele der medizinischen Literatur gelten sollte. Nun schien bewiesen, daß eine erfolgreiche Neuzuweisung des Geschlechts auch bei einem Kleinkind, das mit eindeutiger Geschlechtsidentität geboren war, möglich war. Money behauptete, aus den beiden Zwillingsbrüdern seien glückliche, unauffällige Kinder unterschiedlichen Geschlechts geworden. Moneys Kerngedanke schien bestätigt: Nicht die biologische Veranlagung, sondern Lernen und Umwelt seien die Hauptfaktoren, die zur Herausbildung der Geschlechtsidentität führten. Mit seinem Buch „Man and woman, boy and girl“ (1973) gelang Money der wissenschaftliche Durchbruch. Die Frauenbewegung der 70er Jahre griff den John/Joan-Fall als Beweis auf, daß die Unterschiede zwischen den Geschlechtern Ergebnis kultureller Konditionierung seien. Moneys Verfahren wurde zur Standardbehandlung Neugeborener mit verletzten oder mißgestalteten Genitalien.

Während Money seinen Erfolg feierte, wurde das Kind „Brenda“ immer unglücklicher. Sie vereinsamte und wollte nicht mehr zur Schule gehen. Die jährlichen Besuche bei Money fürchtete und verabscheute sie. Denn der Forscher zwang „Brenda“ und Brian, mit ihm in verletzender Offenheit über ihre Geschlechtsorgane und ihre sexuellen Wünsche zu sprechen. Die Kinder mußten sich gegenseitig an den Genitalien untersuchen und sexuelle Posen nachstellen, Money zeigte ihnen pornographische Bilder. „Brenda“ mußte sich Photos des Geburtsvorgangs anschauen. Die Sitzungen mit dem Sexologen traumatisierten die Zwillinge, die Erinnerungen daran konnten sie auch als Erwachsene nicht ertragen.

Als die Pubertät begann, erhielt „Brenda“ weibliche Hormone. Ihr wuchsen Brüste. Sie aß sich Fettschichten an, um sie zu verstecken. „Brenda“ durchlief, unerwartet für die Ärzte, den Stimmbruch und fing an, sich für Mädchen zu interessieren. Der verblendete Wissenschaftler Money dichtete ihr nun eine lesbische Veranlagung an. Money wollte sein Werk vollenden, und es fehlte nur noch der letzte Schritt. Er wollte „Brenda“ eine künstliche Vagina formen lassen. Schon seit Jahren widersetzte sie sich diesem Eingriff. Bei einem Besuch in Baltimore führte Money „Brenda“ einen Transsexuellen vor, der sie von der Operation überzeugen sollte und stattdessen lähmendes Entsetzen in ihr hervorrief. Danach weigerte „Brenda“ sich, noch einmal nach Baltimore zu reisen.

Am 14. März 1980 sagten die Eltern ihren Söhnen nach Rücksprache mit den Ärzten endlich die Wahrheit. Der Junge, der Brenda genannt worden war, wählte für sich den Namen David, nach dem Bezwinger Goliaths. Er zeigte sich von der Enthüllung vor allem erleichtert. Denn schon als kleines Kind hatte er Zweifel, er war mit dem beunruhigenden Gefühl großgeworden, daß ihm etwas verheimlicht wurde. David beschloß, sein biologisches Geschlecht wieder anzunehmen. Er bekam Testosteronspritzen und unterzog sich einer zweifachen Brustamputation. Später ließ er seinen Penis wiederherstellen, die Medizin hatte inzwischen bessere Rekonstruktionsmöglichkeiten entwickelt. Seelische Stabilität gewann er dadurch, nach den schrecklichen Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend, freilich nicht. Später sagte er: „Was würde ich dafür geben, wenn ein Hypnotiseur meine ganze Vergangenheit auslöschen könnte. Denn sie ist eine unerträgliche Qual. Was sie einem körperlich angetan haben, ist mitunter nicht annähernd so schlimm wie das, was man geistig erdulden mußte ... es war ein Psychokrieg im eigenen Kopf.“ (Colapinto, S. 12) David unternahm in den folgenden Jahren mehrere Selbstmordversuche mit Antidepressiva. Sein Bruder Brian wurde von der neuen Situation vollkommen aus der Bahn geworfen, er glitt ab, Diebstähle, Drogen und Schlägereien gehörten zu seinem Alltag. Auch er, das zweite Opfer des skrupellosen Experiments,beging einen Selbstmordversuch. 1981 verließ Brian mit 16 Jahren die Schule. Er heiratete mit 19, wurde Vater von zwei Kindern, die Ehe scheiterte nach wenigen Jahren. Er wurde arbeitslos, begann zu trinken und verfiel in Depressionen.

David heiratete 1990 Jane Fontane, eine junge Frau, die bereits Mutter war. Er adoptierte ihre Kinder. Beruflich war er erfolglos, nie hatte er eine Ausbildung beenden können. Brian starb mit 36 Jahren: Er beging am 1. Juli 2002 mit einer Überdosis Tabletten Selbstmord. David, tief erschüttert, besuchte sein Grab fast jeden Tag. Am 4. Mai 2004 nahm sich David Reimer das Leben. Er wurde 38 Jahre alt.

Noch lange nachdem David wieder zu seiner männlichen Identität zurückgekehrt war, behauptete Dr. Money, sein Experiment mit den Zwillingen sei gelungen. Er wollte seine Theorie nicht von der Realität korrigieren lassen. Erst 1997 erfuhr die Fachöffentlichkeit durch eine Veröffentlichung in einer medizinischen Fachzeitschrift, daß sich David von Anfang an gegen die aufgezwungene Identität zur Wehr gesetzt hatte. Einer der Autoren des Aufsatzes war Milton Diamond, der Moneys Thesen immer wieder widerlegt hatte. Er und sein Mitautor Keith Sigmundson machten deutlich, daß Davids Fall das Gegenteil dessen belegt, was von Money behauptet worden war. Sie schlossen daraus, daß Geschlechtsidentität weitgehend angeboren und ein Ergebnis pränataler Hormonaussschüttungen und anderer genetischer Einflüsse auf Gehirn und Nervensystem sei. Sie warnten vor einer Geschlechtsneuzuweisung auch bei intersexuellen Kindern. Wegen ihrer Brisanz fand die Studie lange keinen Herausgeber – denn Moneys Theorien waren im medizinischen Establishment anerkannt. Auch eine Langzeitstudie des Kinderurologen Bill Reiner fand wenig Gehör: Reiner hatte lange selbst Gentitaloperationen an intersexuellen Kindern vorgenommen und war zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wie Diamond/Sigmundson. Die auf Moneys Arbeit gegründete klinische Praxis wurde erst erschüttert, als David dem Schriftsteller John Colapinto erlaubte, seine Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen.

John Money mußte als Wissenschaftler noch einige Niederlagen einstecken, an seinem Institut in Baltimore hatte er am Ende seiner Laufbahn einen schlechten Stand. Von den Medien wurde er dennoch bis zu seinem Tod (7. Juli 2006 ) hofiert. Er hatte sich den Ruf eines der einflußreichsten Sexualwissenschaftler des 20. Jahrhunderts erworben. Durch Tabubrüche brachte er sich immer wieder ins Gespräch. Mitte der 70er trat er als Befürworter der offenen Ehe, des Nudismus, des bisexuellen Gruppensex und kindlicher Sexualspiele auf. Die New York Times nannte ihn einen „agent provocateur der sexuellen Revolution“ (Colapinto, S. 43). In den 80ern setzte er sich öffentlich für die Enttabuisierung u.a. von Sadomasochismus, Pädophilie und Selbststrangulierung ein. Es war bekannt, daß er in Gesprächen mit Patienten gerne anstößige Wörter benutzte, um ihnen die Prüderie auszutreiben. John Colapinto berichtet, daß Moneys Verhältnis zu seiner eigenen Männlichkeit zutiefst gespalten war. Als er acht Jahre alt war, war sein Vater, der ihn brutal mißhandelt hatte, gestorben, und er war aufgewachsen unter Frauen – seine Mutter und unverheirateten Tanten, die zu männerfeindlichen Ausfällen neigten:
„Ich litt unter der Schuld, männlichen Geschlechts zu sein“, schrieb er. „Ich trug die Kainsmale der abscheulichen männlichen Sexualität“: Penis und Hoden. Im Licht von Moneys späterem Ruhm auf dem Gebiet der Geschlechtsumwandlung von Erwachsenen und Kindern gewinnt seine folgende Bemerkung etwas Verstörendes: „Ich fragte mich, ob die Welt für Frauen nicht ein besserer Ort wäre, wenn man nicht nur die Tiere auf dem Bauernhof, sondern auch Menschen männlichen Geschlechts kastrieren könnte.“ (Colapinto, S. 41f.)

Zwar hat David Reimers Fall Moneys Theorie auf tragische Weise widerlegt, doch der Einfluß des Forschers reicht noch immer weit. Denn Money hatte den Begriff „Gender“ geprägt, um das Selbstgefühl eines Menschen als männlich oder weiblich zu beschreiben. Money also, nicht Judith Butler war damit der Wegbereiter der Gender-Theorie. Heute gilt es in vielen Kreisen noch immer als unhinterfragbare Wahrheit, daß die soziale Geschlechtsrolle (gender) konstruiert sei und daher vom biologischen Geschlecht (sex) abweichen könne. Davids trauriges Schicksal ließ die Anhänger dieser These kalt. (Ihre Reaktionen auf Davids Tod beschreibt Bettina Röhl.) Auch Beauvoir-Epigonin Alice Schwarzer ließ sich nicht belehren und plädiert noch immer, wie schon in den 70er Jahren in ihrem Buch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“, für die Aufhebung der Geschlechter. Dabei ist längst erwiesen, daß jene Richtung des Feminismus, die auf der Theorie des kulturell bestimmten Geschlechts beruht, keinerlei wissenschaftliche Legitimation hat. Immerhin wird heute von vielen Wissenschaftlern ein Umdenken gefordert, z.B. von der Psychologin Susan Pinker, die in ihrem Buch „Das Geschlechter-Paradox“ (2008) die neuesten Erkenntnisse über die biologischen und hirnphysiologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen beschreibt. Sie fordert, daß die Verschiedenheit der Geschlechter endlich akzeptiert wird.

David und Brian Reimer waren Opfer eines Wissenschaftlers geworden, der glaubte, die Natur nach seinem Belieben umgestalten zu können. Nach Davids Tod erklärte der Schriftsteller John Colapinto: „I was shocked, but I cannot say I was surprised. Anyone familiar with David's life—as a baby, after a botched circumcision, he underwent an operation to change him from boy to girl—would have understood that the real mystery was how he managed to stay alive for 38 years, given the physical and mental torments he suffered in childhood and that haunted him the rest of his life. I'd argue that a less courageous person than David would have put an end to things long ago.“

David durfte nicht sein, was er war und wozu er geschaffen war. Was in ihm angelegt war, durfte nicht reifen. Sein Schicksal zeigt das ganze Grauen, das entsteht, wenn Menschen glauben, ihre eigene Ordnung an die Stelle der Schöpfungsordnung setzen zu können. „Es ist nicht überholte Metaphysik, wenn die Kirche von der Natur des Menschen als Mann und Frau redet und das Achten dieser Schöpfungsordnung einfordert,“ betonte der Heilige Vater in seiner Weihnachtsansprache an die Römische Kurie am 22. 12. 2008:
„Da geht es in der Tat um den Glauben an den Schöpfer und das Hören auf die Sprache der Schöpfung, die zu mißachten Selbstzerstörung des Menschen und so Zerstörung von Gottes eigenem Werk sein würde. Was in dem Begriff „Gender“ vielfach gesagt und gemeint wird, läuft letztlich auf die Selbstemanzipation des Menschen von der Schöpfung und vom Schöpfer hinaus. Der Mensch will sich nur selber machen und sein Eigenes immer nur selbst bestimmen. Aber so lebt er gegen die Wahrheit, lebt gegen den Schöpfergeist. Die Regenwälder verdienen unseren Schutz, ja, aber nicht weniger der Mensch als Geschöpf, dem eine Botschaft eingeschrieben ist, die nicht Gegensatz zu unserer Freiheit, sondern ihre Bedingung bedeutet.“

Die Gender-Ideologie: Ist sie nicht Teil der Kultur des Todes, vor der Papst Benedikt XVI. immer wieder warnt? Für David und Brian Reimer war sie es zweifellos.

Quellen:
John Colapinto: Der Junge, der als Mädchen aufwuchs, Walter-Verlag 2000.
http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=1894187
http://www.cbc.ca/news/background/reimer/
http://www.youtube.com/watch?v=QeSvkE9ZtHk&feature=player_embedded
http://www.slate.com/id/2101678/

Dienstag, 29. September 2009

Der Küster

Nostalgische Erinnerungen überfallen einen ja meistens, wenn irgendwas nicht so gut läuft. So ging es mir gestern, als ich nach einer Kirche suchte, in der es still ist. Gar nicht so einfach, der Dom fällt ja ohnehin flach wegen der Touristenströme, in den anderen Kirchen, die für mich leicht erreichbar sind, ist es kaum anders, und da fiel mir eine abgelegene und gewöhnlich sehr schlecht besuchte Kirche ein. Ich war tatsächlich die Einzige, die dort beten wollte. Aber: Ganz vorne saß ein Häuflein wohl ehrenamtlicher Mitarbeiter, die gerade in ein lautes und wohl ziemlich lustiges Gespräch verstrickt waren. Als ich kam, haben sie mich angestarrt wie einen Außerirdischen, als ich mich hinkniete erst recht. Die Truppe hatte wohl den Auftrag, Kerzen aus einem Karton zu räumen, was nicht ohne hitzige Diskussionen bewerkstelligt werden konnte. Irgendwann haben zwei von ihnen angefangen, sich zu streiten wie die Kesselflicker, weil ein Schlüssel abhanden gekommen war. Ihr verbales Gefecht hallte beeindruckend durch den Kirchenraum.

Und da habe ich mich an den Küster erinnert, der damals in meiner Kindheit in der Dorfkirche seinen Dienst verrichtet hat. Er trug immer einen schwarzen Anzug, im Dorf fiel er schon durch sein aristokratisches, beinahe britisches Aussehen auf - ein hagerer Mann, den man sich auch am englischen Königshof hätte vorstellen können. Wenn man die Kirche betrat, saß er meistens in einer Bank, und er sorgte dafür, daß es immer leise war. Er selbst sprach fast immer im Flüsterton, aber mit großer Autorität. Nie hätte er sich benommen, als würde ihm die Kirche gehören. Er wußte, daß sein Dienst ein Dienst war. Heute kommt er mir vor wie einer der letzten Vertreter einer ausgestorbenen Gattung, und ich vermisse ihn.