Montag, 14. Juni 2010

Die verlorene Generation

Ich besuche ab und zu katholische Kongresse oder Tagungen, Vorträge oder Einkehrtage. Angebote gibt's genug, doch nie kann ich das Gefühl überwinden, deplaciert zu sein: Denn ich bin oft die einzige Vertreterin meiner Generation. Und wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue, finde ich kaum gläubige Katholiken in meinem Alter. Die Jahrgänge zwischen 1970 und 1980 scheinen in Deutschland zu einem großen Teil für die Kirche verloren zu sein. Warum das so ist, kann ich mir leicht erklären, wenn ich über meinen eigenen Glaubensweg nachdenke.

Ich war ein sehr religiöses Kind. Ein kindliches Gespür für das Heilige ließ mich gerne die Heilige Messe besuchen. In Kirchen fühlte ich mich geborgen. Als ich ein paar Jahre älter war, hatte ich ein Schlüsselerlebnis: Ich war in der katholischen Jugend,  und in der Gruppenstunde mußten wir aus alten Nylonstrumpfhosen Tiere basteln. Die sollten auf dem Pfarrfest verkauft werden, der Erlös ging nach Afrika. Kein normal empfindender Jugendlicher gibt sich freiwillig für einen solchen Quatsch her!

Bald fiel mir auf, wie lächerlich die Lieder sind, die in der Kirche gesungen werden. Ich  mochte "Großer Gott, wir loben dich". Aber von Liedern wie "Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer" - Lieder, die den zeitgeisttrunkenen Religionslehrern gefielen (und unbelehrbaren 68er-Opas wahrscheinlich immer noch gefallen)-, war ich in höchstem Maße peinlich berührt . Kirche verband sich für mich mit einem Gefühl des Uncoolen, des Fremdschämens, des Unauthentischen. Mein Gespür für das Schöne und Wahre, das ich als Jugendliche durchaus hatte, wurde mit Füßen getreten.

Irgendwann blieb ich weg. Von einem Sonntag auf den anderen. Mein Platz in der zweiten Reihe, auf dem ich seit Jahren jeden Sonntag gesessen habe, blieb leer. Niemand hat mich nach den Gründen gefragt oder mich ermuntert zurückzukommen. Auch das war die Kirche in den 80ern: Reisende soll man nicht aufhalten, lautete wohl die Devise.

Ich besuchte noch eine Weile den Religionsunterricht. Gott stand nicht auf dem Lehrplan. Die Themen waren vielmehr: Drogen, Waldsterben, Kalter Krieg, "Der Papst ist an Aids schuld", "Kondome schützen", Nicaragua, "Reagan ist böse", "Wenn Jesus heute leben würde, würde er weder Coca Cola trinken (weil Imperialistenbrause) noch die CDU wählen". Am Rande kam ab und zu die Bibel vor, damit wir lernten, daß nichts, was dort steht, für bare Münze zu nehmen ist. Ich habe mich irgendwann für Ethikunterricht entschieden, habe dadurch aber nichts gewonnen: dieselben Themen und zusätzlich Marx-Lektüre. Meine Lehrer waren eben 68er.

In der Zeit, als ich zur Kirche hätte finden können, fand ich nur von den 68ern inspirierte liturgische Experimente, die selbst die Verirrungen von heute in den Schatten stellen. Mit der Kirche verband ich affige Lieder, Dauerbetroffenheit und alte Leute, die in Straßenkleidung um den Altar tanzen. Ich verstehe auch heute noch gut, wieso ich mich mit 13 schon als Atheistin bezeichnete. 
 
Ich glaube, meine persönliche Erfahrung spiegelt das Erleben einer Generation wider. Die Kirche ist in meiner Generation in Agonie verfallen, um sich in der nächsten wieder zu erneuern. Wer heute jung ist, kann in einer geistlichen Gemeinschaft ein Zuhause zu finden. Damals gab es das noch nicht.

Doch wer holt die 30-40Jährigen zurück? Mein eigener Weg zurück war schwierig, ich näherte mich dem Glauben über den Intellekt an, war dabei lange allein, und noch dazu steckte ich mitten in dem durch und durch glaubensfeindlichen Umfeld der Universität. Ich halte oft Ausschau nach gläubigen Katholiken in meinem Alter. Ich begegne ihnen vor allem in der virtuellen Welt: den Wenigen, die dafür sorgen, daß in einer verlorenen Generation der Glaube nicht erlischt.

5 Kommentare:

  1. So viele verlorene Jahre.
    Unsere Aufgabe ist es nun mal in einem Ödland zu überleben. Versprengte Mitglieder der ecclesia militans, Fahne zefetzt, verrostete Reste der verlorenen Rüstung auf müden Gliedern.
    Ziel ist es irgendwie überleben und den Glauben irgendwie weiterzutragen.
    (Gefällt mir als Grundgedanke bei Evelyn Waugh).

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  2. Fürchte dich nicht, du kleine Herde ...

    Ihr seid das Salz der Erde ...
    ... also einzeln in die "Suppe" namens Welt verstreut. Sonst wird's zu salzig. Ist hart, scheint aber wahr.

    Ich bin auch froh, daß ich hierher gefunden habe ...

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  3. Wie sich die Erinnerungen doch gleichen! Bei uns waren es Wäscheklammern und Makrameeeeee! *grusel*

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  4. Hab im katholischen Studentenwohnheim im Doppelzimmer mit einer katholischen Studentin aus China zusammengelebt. Sie kam frisch aus China, konnte nicht gut deutsch, aber sie konnte die gesamte lateinische katholische Messe auswendig. Ich (im Herzen Suchend bis Atheistisch), auf der Lohnsteuekarte rk, wusste nicht mal was das ist. Und das, obwohl ich 1 Semester katholische Theologie studiert hatte (Bloch, Wittgenstein, Freud, Nietzsche, also Religionskritik).
    Dass ich mich nicht vollkommen von der Kirche entfernt hatte, habe ich einigen gläubigern Indern und Afrikanerinnen (aus dem Studentenwohnheim) zu verdanken.
    Aber vielleicht sollte ich auch ganz austreten, wäre ehrlich.

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