Montag, 19. April 2010

Gertrud von Le Fort: Die Letzte am Schafott

Kürzlich hat eine amerikanische Journalistin erklärt, daß die derzeitige antiklerikale Stimmung in den Medien an das vorrevolutionäre Frankreich des 18. Jahrhunderts erinnert:

"[Elizabeth] Lev sieht in der derzeitigen Haltung der Medien gegenüber der katholischen Kirche Parallelen zu den „anhaltenden feindlichen Attacken“, denen die katholischen Geistlichen sich vor der französischen Revolution ausgesetzt sahen, nachdem 1789 die Autorität des französischen Königs geschwächt war. Auch damals seien isolierte Einzelfälle von Priestern, die ein unmoralisches Leben führten, aufgebläht worden, um damit den Anschein zu verleihen, dass sich dieses Problem endemisch verbreitet habe und den gesamten Priesterstand betreffe. Ironischerweise sei das in einer Zeit passiert, in der der sexuelle Liberalismus weit verbreitet war."

Daraufhin habe ich noch einmal Gertrud von Le Forts "Die Letzte am Schafott" (1931) gelesen, eine Novelle, deren Stoff in der Zeit der Schreckensherrschaft der Französischen Revolution angesiedelt ist. Am 17. Juli 1794 erlitten sechzehn Schwestern des Karmels von Compiègne das Martyrium. Die Autorin stellt ihnen zwei Mitschwestern zur Seite: die Novizenmeisterin Marie de L'Incarnation, uneheliche Tochter eines Prinzen von Frankreich, eine majestätische und eindrucksvolle Persönlichkeit, und die ängstliche Novizin Blanche de la Force:

"Nie gab es ein an sich wohlgebildetes Kind von Adel, das sich so scheu bewegte und so unglücklich errötete wie Blanche de la Force. Der große Titel ihres Geschlechtes schien wie ein Plakat, das man ihr zu Unrecht angeheftet hatte, der stolze Name La Force geradezu wie ein Hohn. Nur Blanche traute man sich zuversichtlich sie zu rufen, wenn man nämlich an ihr erblassendes Gesichtchen dachte. Aber "Häschen" blieb doch der passendste Name." (S. 11)

Marie sehnt sich schon nach dem Martyrium, als außer ihr noch niemand glaubt, daß die Anhänger der Revolution vor Mord und Terror nicht zurückschrecken:

" Hieß es nicht vielmehr, gerade unsere humanen Zeiten auf das schwerste verkennen, wenn man sie der Blutgedanken zieh? Und war es nicht geradezu ein wenig lächerlich, ihnen die schreckliche Größe des eigentlichen Gotteshasses zuzutrauen, während man doch jedermann nur mit philosophischen  Phrasen und den drückenden Fragen der staatlichen Finanznot beschäftigt sah?" (S. 35)

Doch bald schon ahnen die Schwestern, welches Schicksal ihnen bevorsteht. Während Marie sich auf das Opfer vorbereitet, zeigt sich immer deutlicher Blanches Berufung: Sie folgt Christus in die Todesangst hinein, harrt bei ihm aus, "während andere sich rüsteten, jubelnd [s]einen Tod zu sterben." (S. 42) Doch Blanches Nerven versagen, und sie flieht aus dem Kloster: "Sie allein wollte damals bei unserm Heiland in seiner Todesangst ausharren, und als ihre Kraft zusammenbrach, lief sie gleichsam in diese hinein." (S. 54)

Die Schwestern werden verhaftet, gerade als Marie von den Behörden nach Paris zitiert worden war: Sie bleibt in Freiheit, gegen ihren Willen. Ein Advokat versteckt sie, sie ist vom Opfer ausgeschlossen. Doch gerade dies ist das Opfer, das sie erbringen muß:

"Und doch liegt auch hier ein Todesopfer vor: es handelt sich um das schweigende Versinken dessen, was ein ganzes Menschenleben als seinen Sinn erkannte; es handelt sich um das Opfer des Opfers." (S. 68)

Maries letzte Hoffnung ist es, in der Menschenmenge versteckt ihre Schwestern auf dem Weg zum Schafott zu begleiten. Die Schwestern wollten singend aufs Schafott steigen, Marie möchte ihren Gesang vollenden. Auch diese Hoffnung erfüllt sich nicht, Marie bleibt auf Weisung eines Priesters in ihrem Versteck.

Die Schwestern singen vor ihrer Ermordung das Veni creator. Eine nach der anderen wird getötet, der Gesang wird dünner, ist am Ende nur noch von einer einzigen Stimme getragen. Doch da mischt sich eine "ganz kleine, feine, kindliche Stimme" in den Gesang hinein: Blanche singt das Veni creator ihrer Schwestern zu Ende, ganz allein, mitten im mordlustigen Pöbel, auf "der großen, blutigen, schrecklichen Place de la Révolution".

"Deo patri sit gloria
Et Filio, qui a mortuis
Surrexit ac Paraclito
In saeculorum saecula!"

Blanche darf tun, wonach Marie sich sehnte, was sie selbst aber fürchtete. Am Ende erlebt man nicht den "Sieg einer Heldin, sondern das Wunder in der Schwachen."

Und darin liegt die wichtigste Lehre, die man aus dieser Erzählung ziehen kann: Es geht nicht darum, den eigenen Willen durchzusetzen, die eigenen großartigen Pläne zur Erfüllung zu bringen.Wer Gottes Willen zu tun versucht und ihm gehorsam sein möchte, nähert sich dem Entwurf an, den Gott von ihm hat: Er wird sich selbst ähnlicher, wird so, wie er sein soll. Und dann wird auch das Schwierige, Problematische und Schwache zum Guten gewendet: Die stolze, starke Marie fügt sich demütig in ihr Schweigen. Blanche, die sich am liebsten verstecken würde, bezeugt mit ihrem Gesang mitten in einer zum Bösen entfesselten Menschenmenge ihren Glauben.

Hier noch mein liebstes Zitat:

"Die christliche Idee entzündet sich ja wie keine andere gerade an der Verfolgung;  hier ist der Punkt, wo das natürliche Raffinement jeder Brutalität gegen sie in eine fast übernatürliche Dummheit umschlägt." (S. 29)

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alle Zitate aus: Gertrud von Le Fort: Die Letzte am Schafott, Stuttgart: reclam 2005.

1 Kommentar:

  1. Objekt auf Wunschzettel erfasst, vielen Dank für den Hinweis!
    Ein wenig vorhersehbar, aber trotzdem sehr anrührend, und wenn ich den Zitaten glauben darf, auch nicht nur der Handlung wegen lesenswert...

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