Der Versuch zweier atheistischer Fanatiker in England, den Papst verhaften zu lassen, wirkt auf den ersten Blick absurd – und ist es fürderhin wohl auch. Doch für die Zukunft ausgeschlossen ist eine solche Aktion keineswegs. Hitchens und Dawkins wollen mit ihrer Anklage den säkularen Staat gegen die Kirche in Stellung bringen. Solche Konfrontationen gab es in der modernen Geschichte mehrfach, bis hin zur Gefangennahme zweier Päpste im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons. Deshalb hier aus aktuellem Anlaß: die Chronik einer Eskalation.
Das ganze 18. Jahrhundert über verstärkten militante Kirchenfeinde ihre Attacken gegen den katholischen Glauben. Die Stichworte dafür lieferten aufgeklärte Intellektuelle, die aber bald von sogenannten Reformern innerhalb der Kirche unterstützt wurden. Zu ihnen gehörte etwa der Trierer Weihbischof Hontheim, der Küng des 18. Jahrhunderts, der eine größere Unabhängigkeit der Bischöfe von Rom forderte. Das erste Angriffsziel war jedoch der Jesuitenorden. Die Aufklärer hassten ihn, weil die Patres der Gesellschaft Jesu ihnen geistig ebenbürtig waren und zugleich in unbedingter Treue an Papsttum und Kirche festhielten. Als die Aufklärer an den absolutistischen Höfen in Spanien, Frankreich und Portugal zu Einfluss gelangten, wurden die Jesuiten sukzessive aus diesen Ländern vertrieben. Deren Regenten zwangen 1773 den Papst, den gesamten Jesuitenorden aufzuheben. Nachdem dieses Bollwerk gefallen war, richteten sich die Angriffe gegen die Kirche im Allgemeinen. Kaiser Joseph II. löste ab 1780 in Österreich die sogenanten „untätigen“ Orden auf – für das kontemplative Leben hatte er in seinem rationalistischen Nützlichkeitsdenken kein Verständnis. 1300 Klöster wurden damals aufgehoben.
Eine neue Phase des Kirchenkampfs setzte mit der Französischen Revolution ein: Sie führte von der Einziehung des gesamten Kirchenbesitzes – beschlossen auf Antrag des Bischofs und späteren Außenministers Talleyrand – über die blutige Verfolgung der Priester und Gläubigen bis hin zur offiziellen Abschaffung des Christentums zugunsten eines „Kultes der Vernunft“. 1798 marschierten die Revolutionäre auch nach Rom und riefen dort die Republik aus. Nun bot sich ihnen die Chance, die Spitze der Kirche zu treffen. Hand an den bereits schwerkranken, 80-jährigen Papst Pius VI. zu legen, wagten sie nicht. Doch er sollte aus Rom weggebracht, interniert und so unschädlich gemacht werden. Am 28. Februar 1798, nachts, musste Pius mit einer Eskorte französischer Husaren die Ewige Stadt verlassen.
Doch was geschah nun? Ein kollektives Aufseufzen der Erleichterung? Allgemeiner Jubel über die Befreiung von Aberglauben und Fanatismus, wie die damaligen Kampfbegriffe lauteten? Wer darauf hoffte, erlebte eine Enttäuschung: Denn überall, wo die päpstliche Wagenkolonne durchkam, bildeten sich gewaltige Menschenaufläufe. Die Massen jubelten dem Heiligen Vater zu, der kaum noch die Hand heben konnte, um sie zu segnen. Als die Menschen den Zustand des Papstes erkannten, richtete sich ihre Empörung auch gegen seine Peiniger. Doch zu Gewalttaten kam es nicht: Glockengeläut, geschmückte Straßen und knieende Menschen am Wegrand blieben die einzigen Formen des Protests. Schon das genügte, um die Franzosen um ihre Macht fürchten zu lassen. Die Revolutionsregierung beschloss, Pius nach Frankreich zu deportieren. Für den bereits vom Tod gezeichneten, schwer leidenden Mann war die Reise über die Alpen eine Tortur. Sie endete im südfranzösischen Valence, wo Papst Pius VI. im Sommer 1799 starb. Auf dem Sterbebett segnete er mit letzter Kraft die Welt, die er zurückließ, und vergab seinen Feinden.
Ohne Oberhaupt, in weiten Teilen Europas verfolgt und zerrüttet – so beendete die katholische Kirche das 18. Jahrhundert. Doch regten sich bereits die Kräfte für einen neuen Anfang. 1798 begann Francois de Chataeubriand, der brillanteste junge Dichter Frankreichs, die Arbeit an seinem Buch „Génie du Christianisme“, der Genius des Christentums. Darin beschrieb er in mitreißender Sprache die kulturellen, ethischen und geistigen Leistungen der Kirche. Unter den jungen Intellektuellen Europas setzte eine Trendwende ein. Sie wandten sich vom Rationalismus ab. Der Katholizismus, jahrzenhtelang nur Objekt für Haß und Spott, faszinierte sie. „Angewandtes, lebendig gewordenes Christentum war der alte katholische Glaube“, schrieb der junge deutsche Protestant Friedrich von Hardenberg, der unter dem Namen Novalis bekannt wurde. „Seine Allgegenwart im Leben, seine Liebe zur Kunst, seine tiefe Humanität, die Unverbrüchlichkeit seiner Ehen, seine menschenfreundliche Mitteilsamkeit, seine Freude an der Armut, Gehorsam und Treue machen ihn als echte Religion erkennbar und enthalten die Grundzüge seiner Verfassung.“ Das 19. Jahrhundert begann mit einer Wellle aufsehenerregender Konversionen: Der Dichter Friedrich von Stolberg trat 1800 zum katholischen Glauben über – und handelte sich dafür eine wütende Kritik seines Freundes Gottfried August Bürger ein: „Wie Fritz Stolberg ein Knecht geworden ist“. Doch andere folgten diesem Beispiel, so die romantischen Schriftsteller Friedrich Schlegel und Zacharias Werner oder die Staatstheoretiker Adam Müller und Karl Ludwig Haller. Eine neue katholische geistige Elite begann sich zu bilden.
Auch organisatorisch gelang der Kirche ein Befreiungsschlag. Noch vor seinem Tod hatte Pius VI. die Voraussetzungen für den Zusammentritt eines Not-Konklaves außerhalb von Rom getroffen. Es wählte im Jahr 1800 in Venedig einen neuen Papst, Pius VII. Ein Durchbruch war auch das 1801 mit dem neuen französischen Machthaber, Napoleon Bonaparte, geschlossene Konkordat, das die Verfolgung der Kirche in Frankreich beendete: Die französische Republik erkennt an, „dass die katholische, apostolische und römische Religion die Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger ist“, lautet die erste Bestimmung. Die Erkenntnis, auf Dauer nicht gegen diese Mehrheit regieren zu können, bewog Napoleon zum Einlenken. Freilich sicherte er sich im Gegenzug weitreichenden Einfluß, von der Ernennung der Bischöfe bis zur Besoldung der Pfarrer. Und je mehr sein Regime in Europa unter Druck geriet, desto härter wurde sein Zugriff auf die Kirche. Hinter den Volksaufständen in Spanien ab 1808 und in Tirol 1809 stand auch der Protest gegen die kirchenfeindlichen Schikanen der von den Franzosen eingesetzten aufgeklärten Bürokraten. So ließ Napoleon 1809 erneut den Kirchenstaat besetzen, Pius VII. verhaften und nach Frankreich bringen. Nicht ideologische Motive, sondern pure Machtpolitik stand hinter dieser zweiten Verhaftung eines Papstes innerhalb von zehn Jahren. Sie währte bis zur Abdankung des Franzosenkaisers im Jahr 1814. Im selben Jahr kehrte Pius VII. nach Rom zurück. Zu seinen ersten Maßnahmen gehörte die Wiederherstellung des Jesuitenordens.
Was ist aus diesen Vorgängen zu lernen? Die katholische Kirche, zum Ende des 18. Jahrhunderts ähnlich in der Defensive wie im heutigen (West-)Europa, ging aus der Konfrontation gestärkt hervor. „Sanguis martyrum semen christianorum“ – dieser Satz bewahrheitete sich wieder. Doch ist er auch auf heute, auf den steinigen, ausgedörrten Boden der westlichen Länder übertragbar? Denn wir müssen wohl auch mit der Möglichkeit rechnen, dass die heutigen Angriffe gegen die Kirche noch zunehmen und der Konflikt seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat.
Herzlichen Dank für diesen wohl recherchierten Artikel.
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