Dienstag, 6. April 2010

Elisabeth Langgässer: Märkische Argonautenfahrt

Unser literarisches Bild der Nachkriegszeit ist von den Werken der Gruppe 47 geprägt: lakonisch im Stil, sozialkritisch und politisch links. Freilich gab es damals auch andere Stimmen: Elisabeth Langgässer zum Beispiel. Ihr Roman „Märkische Argonautenfahrt“ erschien 1950.

Mehr oder weniger zufällig kam mir das Buch vor kurzem in die Hände, und der Lektüreeinstieg war nicht leicht. Denn für den heutigen Leser bietet es ungewohnte Kost; es unterläuft die an der „Trümmerliteratur“ orientierten Erwartungen, wirkt irritierend und verstiegen, mystisch und mythologisch überfrachtet, dabei aber hochpoetisch. Sieben Menschen brechen im Hochsommer 1945 aus dem zerstörten Berlin in ein Kloster in der Mark Brandenburg auf, und die geschundene Landschaft wird zum mythologischen Zauberreich. Ein adäquater Umgang mit den traumatischen Erfahrungen dieser Zeit? Darüber mag man diskutieren, doch die größte Provokation liegt sicherlich darin, dass die Zeitereignisse nicht politisch, sondern religiös gedeutet werden. So steht am Anfang ein Gebet, gerichtet an eine heute vergessene Heilige, Franziska Xaviera Cabrini, den ersten heilig gesprochenen Menschen der USA:

„Heilige Mutter Cabrini zwischen den Kontinenten des sterbenden Europa und der menschenwimmelnden USA, zwischen dem Bild der zerschmetterten Schönheit und dem Bild der morgenrötlichen Kraft ..., du Bürgerin eines Volkes, dessen Ursprung der Pilger ist ...; Mutter Cabrini, Mutter der Pilger, der Waisenkinder, der Heimatlosen, Mutter, nach deren schlichtem Bildnis sich die Blicke der Armen und Hoffnungslosen gleich den Blicken der Auswanderer nach der Statue der Freiheit im Hafen kehren – aufgerichtete Säule der Kirche, an der die Mayflower festmacht und anlegt, jenes Schiff, das immer wieder den Duft und die Süße des traurigen Abendlandes zu geschichtlosen Küsten trägt – bitte für uns, die ganz Besiegten, die Schuldbeladenen, deren Gesicht, aus dem starren Nacken heruntergezogen, bei den Füßen im Staube liegt. Heilige Mutter Cabrini! Wir bitten dich: bitte für uns!“

Doch, dieser Ausflug in die exotische Welt vor der literarischen Monokultur der späteren Bundesrepublik hat sich gelohnt!

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