Sonntag, 26. Juni 2011

Volkserzieher

Dieser Irrtum ist weitverbreitet: Glaube bedeutet vor allem, daß man versucht, ein guter Mensch zu sein und moralische Normen einzuhalten. Dieses Mißverständnis wurzelt in der Zeit der Aufklärung. Der Glaube begann, schwächer zu werden. Man suchte nach einer anderen Begründung für den Glauben, oder vielmehr: nach seinem Zweck. Der Gedanke kam auf, Religion sei der beste Garant für Wohlverhalten. Und da begann das Moralisieren.

Die Rolle des Priesters wurde verändert und erweitert: Er wurde mehr und mehr zum Volkserzieher. Wie sehr dies heute nachwirkt, zeigt sich gerade in der Beichte. Das mystische Verständnis geht verloren. Die Aufgabe des Priesters ist es eigentlich, die Sünden von der Seele zu nehmen und den Gläubigen wieder mit Gott zu versöhnen. Doch mit der Zeit wurde aus der Beichte eine Mischung aus psychologischer Beratung, Coaching und nachgeholter Erziehung. Wenn vom Verfall des Bußsakraments die Rede ist, heißt es meistens, die Menschen hätten heute kein Sündenbewußtsein mehr. Möglicherweise ist ihnen aber auch bewußt, daß auf dem Gebiet psychologischer Beratung ein Psychologe nun einmal mehr zu leisten vermag als ein Priester.

Wie dem auch sei, die schwächliche aufgeklärte Vorstellung, man bräuchte den Glauben als moralisches Korsett, hat bei mir vor allem eins bewirkt: Ich verstand Nietzsche besser. Unerlöster kann man kaum wirken als jemand, der eine solche Stütze braucht.

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