Freitag, 2. Juli 2010

Josef Pieper: Vom Sinn der Tapferkeit

Die Süddeutsche fordert von der Kirche mehr „Demut“ in der Mißbrauchsdebatte. Daß zur Demut auch die Hinnahme falscher Anschuldigungen gehört, wissen die Redakteure der SZ vermutlich nicht – oder setzen sie darauf, daß dies ihr Geschäft erleichtert? Das Perfide an ihrer Empfehlung ist ja, daß sie mit einem verbreiteten Klischee arbeitet: daß es nämlich christlich sei, Angriffen keinen Widerstand zu leisten, sondern sie duldsam hinzunehmen. Dem steht freilich eine andere, sehr alte christliche Tugend entgegen: die Tapferkeit. Ihr hat Josef Pieper 1934 ein kleines Büchlein gewidmet, das auch heute noch lesenswert ist.

In der „Einleitung über das Menschenbild des liberalen Zeitalters“ weist Pieper der Tapferkeit das Amt zu, gegen die Macht des Bösen in der Welt zu kämpfen. Denn die „Existenz des Bösen, des Bösen in der menschlichen und in der dämonischen Welt“ ist für ihn eine „metaphysische Tatsache“. Damit ist zugleich klar, daß die Aufklärung zur Tapferkeit kein Verhältnis haben kann, denn sie habe das Böse aus der Welt herausphilosophiert. Einer unreflektierten Verherrlichung der Tapferkeit erteilt Pieper aber auch eine Absage. „Die Tapferkeit“, so sagt er mit dem heiligen Ambosius, „darf sich selbst nicht trauen.“ Dies erklärt er, indem er die Tapferkeit in das System der vier Kardinaltugenden einordnet, die das Christentum aus der antiken Philosophie übernommen hat: „Jedes Kind weiß, daß in der Reihe der Kardinaltugenden die Tapferkeit an dritter Stelle genannt wird. Diese Aufzählungsfolge ist nicht zufällig: sie ist zugleich Sinnfolge.“

Was früher einmal jedes Kind wußte, muß man heute (auch mir) erklären, also: die vier Kardinaltugenden – Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß – kriegt man zur Not ja noch zusammen, aber was sie bedeuten, welche philosophischen Gedanken hinter diesen Begriffen stecken, und wie das alles mit der Tapferkeit zusammenhängt, die sich immer von Klugheit und Gerechtigkeit leiten lassen muss, das erklärt Pieper in seinem für ihn typischen, klaren und präzisen, an Thomas von Aquin, seinem wichtigsten Gewährsmann, geschulten Stil. Pieper will gar nicht originell sein; „über den christlichen Sinn der Tapferkeit private Meinungen vorzubringen“, hat für ihn „wenig Wert“. Was man von ihm bekommt, ist daher das katholische Lehramt, repräsentiert durch die Autorität des heiligen Thomas. Es ist – vorkonziliare Theologie.

Wenn man diese Ausführungen liest, wird einem der grundsolide Realismus vor Augen geführt, der dieses Lehramt auszeichnet. Es ist nämlich alles andere als weltfremd und verstiegen, wie man ihm gern vorwirft, sondern pragmatisch und weltzugewandt. Dabei kämpft es zugleich mit offenem Visier, sagt klar, was gut und böse, richtig und falsch ist, und das immer auf der Basis von logischen Argumenten, nicht von Emotionen oder Wunschvorstellungen – eine wirkliche Lebenslehre.

Was aber ist nun Tapferkeit? Pieper definiert sie als „die Bereitschaft zu fallen“: Das hört sich ziemlich kriegerisch, ja militaristisch an, zumal vor dem zeithistorischen Hintergrund des Buches. Gemeint ist aber etwas anderes: „Tapferkeit setzt Verwundbarkeit voraus; ohne Verwundbarkeit gibt es nicht einmal die Möglichkeit der Tapferkeit. Ein Engel kann nicht tapfer sein, weil er nicht verwundbar ist. Tapfer sein heißt nämlich: eine Verwundung hinnehmen können ... Die äußerste und tiefste Verwundung aber ist der Tod.“ Es geht also gerade nicht um kriegerische Triumphe; in der christlichen Tradition ist die höchste Verkörperung der Tapferkeit der Märtyrer: „Wir siegen, wenn wir niedergemacht werden; wir entrinnen, wenn wir vor den Richter geführt werden“, sagt Tertullian.

Das klingt wieder sehr nach Weltverachtung. Es ist aber nur die eine Seite der Medaille und gilt nur für den Extremfall. Denn zur Tapferkeit gehört auch die Bereitschaft zum Angriff. Nach Thomas hat sogar der Zorn in diesem Zusammenhang seine Berechtigung: Der Tapfere, so sagt er, nimmt den Zorn auf („fortis assumat iram in actum suum“), „denn es ist dem Zorn eigentümlich, das Übel anzuspringen, und so wirken Tapferkeit und Zorn unmittelbar ineinander“. Hier wird etwas von der aktiven, vitalen und kämpferischen Seite des Christentums deutlich, die man leider viel zu selten zu sehen bekommt – nicht nur in der gegenwärtigen Situation.

Also, liebe Mitkatholiken: Wir müssen gar nicht immer „die andere Wange hinhalten“! Unser „allgemeiner Lehrer“ Thomas von Aquin hat die Bergpredigt jedenfalls anders gedeutet: „Denn die heilige Schrift ist von dem zu verstehen, was Christus und die Heiligen praktisch verwirklicht haben. Christus aber hat nicht die andere Wange hingehalten, als er vom Knecht des Hohenpriesters geschlagen wurde, sondern er hat entgegnet: „Habe ich Unrecht geredet, so beweise mir das Unrecht, habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ (Joh 18,23) Deshalb, so Thomas, „versteht eine wörtliche Auslegung die Weisung der Bergpredigt falsch: Diese meint vielmehr die seelische Bereitschaft, ohne verwirrende Bitterkeit gegen den Angreifer Ähnliches und Schwereres zu ertragen, wenn es notwendig ist.“ Die Süddeutsche Zeitung zu ertragen, ist aber nicht notwendig.

4 Kommentare:

  1. Danke!
    Hab mir ein Zitat von Pieper gleich zur persönlichen Erbauung gespeichert. :)

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  2. ...und ich habe das Buch zufällig in den letzten Tagen wieder besonders studiert, weil ich über das Thema derzeit schreibe. Die Tugendlehre, vermittelt nach Pieperart sollte Bestandteil des Pflichtunterrichtes werden. Ganz sicher.
    Danke hier fürs Erwähnen!

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  3. @Johannes:
    Die Tugendlehre, vermittelt nach Pieperart sollte Bestandteil des Pflichtunterrichtes werden.

    Das wär nicht schlecht. Ich hätte vielleicht noch erwähnen sollen, daß Pieper ähnliche Bücher auch über die anderen Kardinaltugenden geschrieben hat.

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  4. @Jacopone:
    Stimmt. Heute noch ist ein guter junger Freund von mir in Urlaub gefahren, der nach Gesprächen den heiligen Thomas ein wenig kennenlernen möchte. Der hat erst mal den Packen von Pieper über die Tugenden mitgenommen. Das ist echt der Weg, finde ich...

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