Wie gesagt, ich mag dieses Gezwitscher nicht. Dennoch war Twitter wohl unvermeidlich. Je mehr sich die schriftliche Kommunikation beschleunigt, desto kürzer werden die übermittelten Nachrichten. Als um 1800 die Post noch Tage oder sogar Wochen unterwegs war, wurden seitenlange Briefe geschrieben, in denen der Schreibende ausführlich und sehr differenziert über seinen Seelenzustand Rechenschaft ablegte. Heute undenkbar, denn die Verkürzung und Beschleunigung der Nachrichten führt unweigerlich zu einem Verlust an Substanz. 140 Zeichen genügen nicht, um differenziert zu argumentieren. Die Briefkultur weicht einer hysterischen News-Kultur.
Diese Tendenz zu kurzen, leicht verständlichen Häppchen hat längst auf die Literatur übergegriffen. Der kolumbianische Schriftsteller Memo Anjel erklärte 2005 in einem Interview:
"Ich glaube, die langen und labyrinthischen Kapitel funktionieren heutzutage nicht mehr. Die Leser haben sich gewandelt. Sie haben mehr Bilder im Kopf – aus dem Fernsehen, dem Internet, dem Kino. Die Zeit zum Lesen teilen sie mit anderen Aktivitäten."
Er zieht daraus die Konsequenz, daß heute kürzer und schneller geschrieben werden muß, was auch oft geschieht - die Poesie imitiert also die Wirklichkeit und folgt den Maßstäben ihrer Zeit. Dennoch gibt es noch Romanciers, die den Mut zu dem "Meer der Epik" haben, von dem Thomas Mann sprach, zu langen, tiefen, verschlungenen Kapiteln - den Mut also zu einer Poesie, die Gegenwelten erzeugt. Zu ihnen gehört z.B. Martin Mosebach.
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Mittwoch, 22. April 2009
Dienstag, 21. April 2009
Gezwitscher
Die Singvögel im Garten zwitschern nicht, weil sie sich über das schöne Wetter freuen oder weil sie ihren Zuhörern eine Freude machen wollen, sondern weil sie Konkurrenten aus ihrem Revier vertreiben und Weibchen anlocken wollen. Statt Kunst also Überlebenskampf. Ähnlich wird es wohl mit dem virtuellen Gezwitscher, Twitter, sein. Die Kurznachrichten, die pausenlos ins Netz gesendet werden, haben selten den künstlerischen Rang eines Aphorismus oder eines Haiku. Man liest viel Belangloses aus dem Privatleben ("Die Sonne scheint, voll krass, trinke Redbull.") oder Berufsleben ("Riesenfisch an Land gezogen. Mega-Deal."). Die Botschaft dahinter lautet meistens nur: "Ich bin (auch noch) da."
Nun dürfte ein Medium, mit dem sich Präsenz markieren läßt, ohne daß man etwas Bedeutendes sagen muß, besonders für Politiker reizvoll sein. (Barack Obama hat's vorgemacht.) Und in der Tat: Die Liste mit "Politik-Tweeds" ist schnell gefunden. Hubertus Heil twittert ("Jetzt das Regierungsprogramm herunterladen!"), Volker Beck ("Minderheitenfeindlichkeit muss widersprochen werden."), David McAllister ("Niedersachsen profitiert von Europa besonders" - CDU beschließt Wahlprogramm zur Europawahl.").
Was für ein häßliches Medium!
Nun dürfte ein Medium, mit dem sich Präsenz markieren läßt, ohne daß man etwas Bedeutendes sagen muß, besonders für Politiker reizvoll sein. (Barack Obama hat's vorgemacht.) Und in der Tat: Die Liste mit "Politik-Tweeds" ist schnell gefunden. Hubertus Heil twittert ("Jetzt das Regierungsprogramm herunterladen!"), Volker Beck ("Minderheitenfeindlichkeit muss widersprochen werden."), David McAllister ("Niedersachsen profitiert von Europa besonders" - CDU beschließt Wahlprogramm zur Europawahl.").
Was für ein häßliches Medium!
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