Samstag, 16. Juli 2011

Der letzte Kaiser

Heute ist in Wien Otto von Habsburg beigesetzt worden. Er hat die Kaiserkrone nie getragen, und doch hat ihn zeitlebens so etwas wie eine Aura, ein Abglanz der Kaiserwürde umgeben – und das nicht nur, weil er noch in die letzten Jahre der Donaumonarchie hineingeboren wurde. Auch im Zeremoniell der Beisetzung ist die Idee des Kaisertums noch einmal lebendig geworden. Christen, Juden und selbst Muslime haben an seinem Sarg gebetet – eine Vision der Einheit, die an den tiefsten Kern der Kaiseridee erinnert: nicht die Herrschaft einer Nation über andere, sondern die Einheit der Völker in einem gemeinsamen Glauben. Das Anklopfen an der Pforte des Kapuzinerklosters erinnert an zwei Elemente, die für das alte, monarchische Europa konstitutiv waren: Das Bewußtsein für Rang und Würde einerseits – deshalb wurden seine Ämter und Würden alle noch einmal aufgezählt –, die Demut andererseits: Nur als „Otto, ein sterblicher Mensch“, durfte er die Pforte überschreiten. Eines kann ohne das andere nicht sein: Wo alle gleich sind oder sein sollen, da verliert auch die Demut ihren Sinn. Doch wo keine Demut ist, schwindet am Ende auch die Menschlichkeit.
Fast hundert Jahre ist Otto von Habsburg alt geworden, ein wahrer Zeuge des Jahrhunderts. Doch war er viel mehr als ein lebendes Relikt der Vergangenheit. Er hat gegen die großen Verbrechersysteme seines Jahrhunderts gekämpft, gegen Nationalsozialismus und Kommunismus. Als Hitler den Anschluss Österreichs plante, wollte er sich an die Spitze des Landes stellen und das Volk zum Widerstand aufrufen. Das war vielleicht unrealistisch, vielleicht aber auch nicht, auf jeden Fall aber sehr mutig. Die Geschichte hätte anders verlaufen können, wenn es gelungen wäre. Um so berührender ist es, dass sein Name auch mit dem Ende des Kommunismus verbunden ist: mit dem berühmten Paneuropa-Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze, das er mitorganisierte und das das erste Loch in den Eisernen Vorhang riss. Und damit auch den ersten Stein aus der Berliner Mauer löste. Wer ein bißchen Sinn für geschichtliche Zusammenhänge hat, ist fast schon gezwungen, darin so etwas wie Fügung zu erkennen.
Dieser freundliche ältere Herr, der so viele Sprachen fließend beherrschte und mit so vielen Völkern verbunden war, hat noch einmal die Werte verkörpert, die den Glanz Europas ausmachen. Wenn ich mir einen Kaiser wünschen könnte, dann müsste er wohl so sein wie Otto von Habsburg. Der Dichter Franz Grillparzer, der über die historische Mission der Habsburger viel nachgedacht hat, hat den Sinn der Monarchie einmal so beschrieben: Nicht „in Voraussicht lauter Herrschergrößen ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat. Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöten, um den sich alles schart, was gut und recht und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen, hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich den Samen man geworfen einer Ernte.“ In diesem Sinn ist Otto von Habsburg wirklich ein Monarch gewesen.
Und wer wirft nun den Samen in die zweifelhafte Zukunft, die uns bevorstehen mag?

1 Kommentar:

  1. Was für eine Überraschung! Ich dachte, im Netz fehlt noch ein richtig guter Artikel über den Kaiser, und dann finde ich ihn auf unserem Blog! Wunderschön, danke!

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