In seinem Buch "Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen" äußert Manfred Lütz die Befürchtung, daß sich unsere Gesellschaft auf "dem besten Weg zur Diktatur der Normalität" befindet, "die die eigene Unsicherheit mit schlichten Parolen überspielt und alles Abweichende rücksichtslos bekämpft":
",Normal ist leichter Schwachsinn‘, dieser eigentlich nur mit Bezug auf die menschliche Intelligenz geprägte berühmte Satz eines Psychiaters zu Beginn des wahnsinnig gewordenen 20. Jahrhunderts irrlichtert heute voll schillernder Ironie. Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts haben jedenfalls die Instrumente erfunden und ausprobiert, mit denen man eine solche Diktatur der Normalität umsetzen kann. Auch wenn sich jene Staatsformen im Kampf der Systeme als zu schwach erwiesen und ihre Inhalte zu Recht auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind: Dass man eine ganze Gesellschaft mit modernen Methoden uniformieren kann, ist nun für immer im Gedächtnis der Menschheit gespeichert."
(S. 176f.)
Dieses Zitat läßt sich durchaus als Fußnote zu der derzeitigen Medienkampagne lesen, die die Mißbrauchsfälle und ihre Opfer auf skrupellose Weise für den Kampf gegen die Kirche instrumentalisiert und sehr oft nicht bei der Wahrheit bleibt. Sieht man von einigen Ausnahmen ab, beobachten wir eine Uniformierung der Meinung, die beängstigend ist. Sie vollzieht sich (wahrscheinlich) von alleine, ohne eine vom Staat gelenkte Gleichschaltung (auch wenn das manche vermuten), gesteuert höchstens durch interne Auswahlmechanismen: Wer nach oben kommen will, braucht einen bestimmten Stallgeruch usw., wer seine Artikel verkaufen will, hat mehr Erfolg, wenn er bei der Blattlinie bleibt. Doch die Ursache liegt wahrscheinlich noch viel tiefer: Es geht um die Abweichung von der Normalität, die hysterisch bekämpft wird. Die katholische Kirche widersetzt sich dem linksliberalen Zeitgeist, dem Relativismus und Fortschrittsglauben, dem uniformierten Denken, Fühlen und Handeln des heutigen Normalmenschen bzw. Spießers, der im linksliberalen Milieu anzusiedeln ist - dem Milieu, aus dem sich die meisten Journalisten rekrutieren. Die sich steigernde Aggressivität der Kampagnen deutet gewiß auch auf eine tief im Inneren empfundene Unsicherheit hin. Womöglich ahnen selbst die Verteidiger des Relativismus, daß dieser keine gültigen Deutungen zu liefern vermag. Aber das sind nur Vermutungen. Fest steht nur: Selbstzweifel, die in aggressive Abwehr umschlagen, sind nicht nur gefährlich, sondern machen auch jede vernünftige Debatte sehr, sehr schwer.
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