Dienstag, 29. September 2009

Der Küster

Nostalgische Erinnerungen überfallen einen ja meistens, wenn irgendwas nicht so gut läuft. So ging es mir gestern, als ich nach einer Kirche suchte, in der es still ist. Gar nicht so einfach, der Dom fällt ja ohnehin flach wegen der Touristenströme, in den anderen Kirchen, die für mich leicht erreichbar sind, ist es kaum anders, und da fiel mir eine abgelegene und gewöhnlich sehr schlecht besuchte Kirche ein. Ich war tatsächlich die Einzige, die dort beten wollte. Aber: Ganz vorne saß ein Häuflein wohl ehrenamtlicher Mitarbeiter, die gerade in ein lautes und wohl ziemlich lustiges Gespräch verstrickt waren. Als ich kam, haben sie mich angestarrt wie einen Außerirdischen, als ich mich hinkniete erst recht. Die Truppe hatte wohl den Auftrag, Kerzen aus einem Karton zu räumen, was nicht ohne hitzige Diskussionen bewerkstelligt werden konnte. Irgendwann haben zwei von ihnen angefangen, sich zu streiten wie die Kesselflicker, weil ein Schlüssel abhanden gekommen war. Ihr verbales Gefecht hallte beeindruckend durch den Kirchenraum.

Und da habe ich mich an den Küster erinnert, der damals in meiner Kindheit in der Dorfkirche seinen Dienst verrichtet hat. Er trug immer einen schwarzen Anzug, im Dorf fiel er schon durch sein aristokratisches, beinahe britisches Aussehen auf - ein hagerer Mann, den man sich auch am englischen Königshof hätte vorstellen können. Wenn man die Kirche betrat, saß er meistens in einer Bank, und er sorgte dafür, daß es immer leise war. Er selbst sprach fast immer im Flüsterton, aber mit großer Autorität. Nie hätte er sich benommen, als würde ihm die Kirche gehören. Er wußte, daß sein Dienst ein Dienst war. Heute kommt er mir vor wie einer der letzten Vertreter einer ausgestorbenen Gattung, und ich vermisse ihn.

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