Mein erster Besuch einer Alten Messe liegt schon einige Jahre zurück. Er fiel in die Zeit meiner Rückkehr zur Kirche. Ich wußte damals nicht viel über den alten Ritus, war aber neugierig, wissensdurstig und - da frisch bekehrt - ziemlich motiviert. Ich hatte mir die Liturgie fremd und unzugänglich vorgestellt, weil das ja leider oft behauptet wird. Doch sie kam mir gar nicht so fremd vor. Die Schönheit des Gesangs, die ruhigen, ausgewogenen Gesten berührten mich. In den Phasen der Stille konnte ich zur Ruhe kommen, und von Anfang an habe ich es als angemessen empfunden, beim Gebet mit dem Priester zusammen auf Gott hin zu schauen. Ich konnte mich fallenlassen, einfach da sein, und das geht mir auch heute noch so. Ich empfinde die Liturgie als sanft und gleitend, als eine Einheit, es sind keine Brüche oder abrupten Übergänge zu spüren.
Ich gehe seitdem öfter in die Alte Messe. Trotz der Freude über diese Entdeckung hatte ich am Anfang gemischte Gefühle, Skepsis und Sehnsucht zugleich. Das ist gar nicht so leicht zu erklären. Ich hatte der Kirche lange Zeit ferngestanden, aber immer wieder kamen Erinnerungen hoch: an den Glauben meiner Kindheit, sinnliche Eindrücke von damals – der Geruch nach Kerzen und Weihrauch, schöne Meßgewänder, die Dorfkirche, die von außen so unscheinbar war und innen so prächtig. Diese ganzen Erinnerungen waren aber mit dem neuen Ritus verbunden, mit dem ich großgeworden bin. Die Texte, die ich unzählige Male in meiner Kindheit gehört habe, berühren mich, sie gehören zu meinem Leben. Solche Prägungen sind für das religiöse Leben wichtig und lassen sich nicht auslöschen. Als ich zur Kirche zurückgefunden hatte, hatte ich mir zurückerobert, was ich in den Jahren des Glaubensverlusts aufgegeben hatte. Deshalb würde ich auch heute auf die Neue Messe nicht verzichten wollen: Es wäre wie ein zweiter Verrat an meiner Kindheit. Vielleicht ist es Nostalgie, aber was soll's.
Dennoch empfinde ich eine Kluft zwischen dem überlieferten und dem erneuerten Ritus, die mich manchmal schmerzt. Die Neue Messe kam mir irgendwann vor wie eine zusammengestrichene, zerstückelte Version der alten, mit einem hektischen Federstrich verfügt, ein Konstrukt, das etwas Gewachsenes ersetzen sollte. Ich verstehe, warum gerade einige mit der Kirche verbundene Katholiken sie meiden. Auch ich mußte sie neu zu schätzen lernen. Heute mag ich sie, wenn sie schlicht und konzentriert gefeiert wird, korrekt und ohne Aktionismus. Das, was mich am meisten stört, sind im Grunde fremde Elemente, die nicht hineingehören: Hinzufügungen von Banalitäten, Begrüßungen mit eigenen Worten („Guten Morgen! Ich begrüße Sie zu diesem sonntäglichen Gottesdienst und freue mich, daß der Regen / der Hagel /das schöne Wetter Sie nicht davon abhalten konnten zu kommen und nun wollen wir beginnen im Namen des...“), eigenmächtige Änderungen am Text und vor allem diese ganzen 70er-Jahre-Wohlfühl-Lieder, die von ihren Apologeten auch heute noch als „neu“, „zeitgemäß“ und „modern“ verkauft werden.
Ich habe die Möglichkeit, täglich eine Messe im neuen Ritus zu besuchen, die in Ordnung ist. Ich weiß, daß ich damit schon privilegiert bin. Trotzdem wünsche ich mir, daß die Tradition von breiteren Kreisen wiederentdeckt wird. Zur Zeit der Liturgiereform war ich noch nicht geboren. Natürlich frage ich mich: Wie konnte die Kirche einen solchen Schatz bloß aufgeben? Gewiß: Die Alte Messe, wie ich sie erlebe, mit Liebe, Sorgfalt und dem Bemühen um Schönheit und Würde gefeiert, nähert sich sehr dem Ideal an und konnte auf diese Weise damals sicher nicht flächendeckend angeboten werden. Romantisiere ich sie vielleicht, vergleiche ich das Ideal von damals mit der fehlerbehafteten Wirklichkeit von heute?
Ich habe darüber kürzlich mit einem Bekannten gesprochen, der mit dem alten Ritus großgeworden ist. Nein, er hat die Reform durchaus nicht als Befreiung empfunden, und an besonders schlechte Erfahrungen mit der klassischen Liturgie kann er sich auch nicht erinnern. Liturgische Mißgriffe? Da gab es einen Priester, der für die Messe nur 13 Minuten brauchte. Der vor sich hin murmelte und ab und zu mit Donnerstimme „Dominus vobiscum“ rief. Bei den Schuljungen damals war er beliebt, weil es wenigstens schnell ging. Die Alte Messe ist für meinen Freund die „richtige“ Form geblieben. An den deutschen Text konnte er sich bis heute nicht gewöhnen.
Freilich, eine Stimme genügt nicht, um zu einem Gesamteindruck zu kommen. Aber vielleicht doch, um ein kleines Fragezeichen hinter das zu setzen, was so oft behauptet wird: daß die Reform aus pastoralen Gründen unumgänglich war und von den Gläubigen begeistert begrüßt wurde.
Natürlich läßt sich die Zeit nicht zurückdrehen, und ich bin voller Dankbarkeit und Bewunderung, weil Papst Benedikt den eingeschlagenen Kurs auf eine so kluge, sanfte und zugleich beharrliche Weise zu korrigieren versucht. Ich hoffe, daß die neue Messe irgendwann nicht mehr aggressiv in Stellung gebracht wird gegen die überlieferte Liturgie, Benedikts „Hermeneutik der Reform“ sich durchsetzt und die Kirchengeschichte nicht mehr von gewissen Kreisen auf die letzten vierzig Jahre reduziert wird. Alte und neue Messe: Für mich sind beide mit meinem Glaubensleben und meiner Glaubensgeschichte verbunden.
Vielen Dank für die sachlich objektive aber auch von Emotionen getragene Einschätzung! Als bekennender Lutheraner, der ich viel übrig habe für die Liturgie und die Tradition im Kontext biblischen Zeugnisses bin ich froh darüber, eine sowohl kritische wie auch unpolemische Meinung zur Kontroverse Klassisch überlieferte Form oder Novus Ordo zu lesen. Ich hoffe und bete darum, daß dies zur weiteren Meinungsbildung der Generation B.XVI. beiträgt. Tilman
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