Montag, 30. Mai 2011

Kreuzzeichen in Holland: Da schämt sich sogar der Hund

... meint einer der Prekariatsschreiber von "Welt online", der den Auftrag hatte, einen Propagandaartikel (bezeichnend schon der Titel: "Holländische Ultra-Christen wollen den Gottesstaat") gegen die in den Niederlanden stärker werdende Calvinisten-Partei zusammenzuschustern. Über einen ihrer Vertreter heißt es: "Hoefnagel bekreuzigt sich, seine Dogge schaut wie peinlich berührt auf das Wasser."

Nun weiß ich nicht, ob sich Calvinisten bekreuzigen. Das herauszufinden ist auch nicht mein Job. Aber der Artikel klingt nicht so, als hätte der Autor viel Recherche betrieben (außer mal kurz googlen). Würde ich aber auch nicht, wenn ich für meine Artikel nur 5,80 € bekäme. Mehr werden die dafür doch hoffentlich nicht zahlen! Und ich frage mich immer wieder, wieso sich die "Welt" einen derart erbärmlichen Online-Auftritt leistet.

Ich weiß auch nicht, wie die holländischen Calvinisten sind. Vermutlich sind es tüchtige, fleißige, wohlhabende, gottesfürchtige Geschäftsleute - vereinen also sämtliche Eigenschaften, die kleinen, politisch weit links stehenden, in zugigen WG-Zimmern hausenden Zeitungsschreibern verhaßt sind.

Ich weiß aber, was dahinter steckt. Die übliche Hetze gegen religiöse Menschen, die im medialen Diskurs der BRD immer die Bösen sind.

Und natürlich das Entsetzen darüber, daß ausgerechnet das freigeistige Kifferparadies Holland gerade eine radikale Wende durchlebt. Die Regierung ist konservativ, und mit dem Kiffen ist es auch bald vorbei.

Vor kurzem war ich für ein paar Tage dort. Eine Freundin hatte mich zum Geburtstag eingeladen, und ich war doch ein wenig erstaunt, daß damit eine gemütliche Familienfeier mit Sahnetorte gemeint war. Erst kam ihre Familie (Eltern, Schwestern, Nichte, Schwager, Tante und Onkel), danach die Familie ihres Freundes (Eltern, Tante und Onkel, Bruder und Freundin, Opa Hank und seine Frau). Dazwischen ein paar Freundinnen. Außer mir sprachen alle Niederländisch. Klar, für mich war das schwierig. Ich betrachtete es als eine Art Übung - Manieren verfeinern und so - und habe mir überlegt, was Königin Beatrix in dieser Situation wohl tun würde. Also ordentlich sitzen, entspannt gucken, versuchen, den Gesprächen irgendwie zu folgen, und ab und zu ein bißchen auf Englisch mitreden. Und das zwölf Stunden lang! War anstrengend, und danach hätte man mich durchaus ins diplomatische Corps aufnehmen können.

Jedenfalls: eine solche Geburtstagsfeier, mit der ganzen Familie, habe ich hier in Deutschland bei Leuten in meinem Alter noch nie erlebt. Darüber wiederum haben meine holländischen Freunde gestaunt. Die übrigens viel bürgerlicher sind, als es hier für junge Akademiker üblich ist. Und vom Kiffen wirklich gar nichts hielten.

Und dann auf der Feier und in der Stadt: die vielen schönen, gut gekleideten und sehr weiblich auftretenden Frauen. Mit Gender-Mainstreaming war das wohl nix. Ich bin ja nun wirklich kein Nerd, der nur zwei Hosen und einen gestreiften Pulli besitzt. Stattdessen habe ich einen Schrank voll mit kurzen schwarzen Kleidern und eine Kiste mit Vogue-Heften. Aber neben den holländischen Frauen ... fühlte ich mich fast ein bißchen blaß.

Schön fand ich es auch, daß meine Freundin ein traditionelles holländisches Essen für mich gekocht hat - Rollbraten mit Kartoffeln, Bohnen und Apfelmus - den Braten geschnitten hat ihr Freund.

Und dann ein Tag in Amsterdam - das Gegenteil dieser sanften häuslichen Atmosphäre. Den Touristenströmen gefolgt, ins Rotlichtviertel geraten. Ein Schaufenster neben dem anderen, in jedem eine tanzende Frau in Reizwäsche, die meisten mit slawischen Gesichtern. Alkohol, Rauchschwaden, und vor allem die leeren Gesichter der Frauen hinter Glas, die so sehr gedemütigt wurden. Da dachte ich, genau so sieht eine entchristlichte Stadt in Reinform aus. Und daß die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen nach dem Verlust des Glaubens um so stärker offenbar wird.

1 Kommentar:

  1. Der Kommentar ist von Tiberius:

    Den Niedergang der Welt beobachte ich seit einigen Jahren. Vor allem die Nachwuchsförderung hat es mir angetan. Schaut man sich die letzten Jahrgänge der Springer Akademie an, dann begegnet man hauptsächlich boulevardkompatiblen Jungschnöseln. Aber mal ehrlich, aus welchem geistigen Reservoir sollte der Nachwuchs kommen?

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