Dienstag, 4. Mai 2010

Was im Mittelalter besser war: Diskussionen

Zu den unausrottbaren Vorurteilen über das finstere Mittelalter gehört die scholastische Spitzfindigkeit. Meist wird dazu die berüchtigte Frage zitiert, wieviele Engel auf einer Nadelspitze tanzen könnten, über die damals angeblich mit Hingabe diskutiert wurde. Dabei gibt es keine kultiviertere Form der Debatte als die scholastische Disputation. Zu ihren Grundregeln gehörte es, daß man dem Gegner nicht sofort antwortete, sondern dessen Argument zuerst in eigenen Worten wiederholte - um sicher zu gehen, daß er genau das gemeint hatte. Thomas von Aquin hat an der Universität Paris zweimal pro Woche eine öffentliche Disputation gehalten. Er hatte den Ehrgeiz, die Position seines Gegners besser wiederzugeben als dieser selbst. 
Wer sich in einer mittelalterlichen Disputation so benommen hätte, wie heute bei Anne Will oder Majbritt Illner üblich. wäre sofort rausgeflogen. Warum, kann man beim heiligen Augustinus nachlesen: „Mögen wüten wider euch jene, die nicht wissen, mit welcher Mühsal man die Wahrheit findet“, schrieb er in einer Schrift gegen die Manichäer, die er für Ketzer hielt. „Mögen wüten wider euch jene, die nicht wissen, mit welcher Schwierigkeit das Auge des inneren Menschen hell wird. Wüten mögen wieder euch jene, die nicht wissen, unter wieviel Stöhnen und Seufzen es geschieht, daß man auch nur ein Winziges an göttlicher Einsicht gewinnt.“ Das Schlüsselwort dabei ist „Wahrheit“. Wir müssen uns wohl ganz schön anstrengen, bis wir wieder so tolerant werden wie das Mittelalter.

2 Kommentare:

  1. Die Wiederholung der Argumente in eigenen Worten lernt man dann heutzutage in teuren Seminaren als "aktives Zuhören"...

    Außerdem finde ich die Frage nach den Engeln auf der Nadelspitze überhaupt nicht nicht-diskussionswürdeig: dabei geht es doch darum, ob es eine räumliche Begrenzung für Ansammlungen von Objekten ohne räumliche Ausdehnung gibt - wäre doch heute ein Thema für die Topologie, oder ?

    Und übrigens: Danke für das Thema!

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  2. Ebenfalls vielen Dank für die Hinweise! Ich sehe schon, daß unsere Leser sehr gut informiert sind. Da werden wir uns mächtig ins Zeug legen müssen!

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