Dienstag, 17. November 2009

Schwedenkrimis

Wenn ich krank bin, greife ich immer zu Krimis, und mir ist nicht ganz klar warum. Womöglich stimmt es mich zuversichtlich, wenn am Ende der Täter gefaßt wird - dann werden gewiß auch die Grippeviren ihren Häschern nicht entgehen. Wie dem auch sei: Schwedenkrimis fand ich früher gut, heute zum Davonlaufen.

Früher heißt: als ich Anfang 20 war, immer schwarzgekleidet (aber mit dunkelrot gefärbten Haaren), und fürs Philosophiestudium "Das Sein und das Nichts" und Simone de Beauvoir gelesen habe. Die verregneten Landschaften und graugefärbten Gemütslagen der Schwedenkrimis paßten zu meiner existentialistischen Weltsicht. Ich mochte diesen ganzen Wallanderkram, die depressiven, fetten, geschiedenen Ermittler mit Cholesterin- oder Alkoholproblemen und sogar diese dröhnende Gesellschaftskritik, die diese Bücher so furchtbar klebrig macht. [Also: Es geht immer um Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Umweltverschmutzung, Atomkraft. Der Täter ist ein Nazi. Außer er ist eine Frau oder Vertreter einer Randgruppe, dann ist die Gesellschaft schuld. Linke sind gut. Männer haben einen angeborenen Defekt undsoweiter.]

Heute finde ich das alles so inspirierend wie ein Billy-Regal. Mit einer Ausnahme allerdings: Håkan Nesser. Seine Van Veeteren-Reihe mag ich noch immer. Aber die spielt auch nicht in Schweden, sondern in einem fiktiven Land, und der Kommissar hat einen ziemlich düsteren Charakter. Nesser läßt seinen Figuren ihre Ambivalenzen, er interessiert sich mehr für die menschliche Natur als für Sozialkritik.

Kürzlich habe ich Nessers Barbarotti-Romane gelesen. Der erste ("Mensch ohne Hund") enttäuschte mich, den zweiten ("Eine ganz andere Geschichte") - einen klassischen Whodunnit - fand ich genial. Der dritte ("Das zweite Leben des Herrn Roos") hat mich berührt. Nesser beschreibt, wie ein Sonderling, ein Mann, der von allen in die Rolle des Langweilers gedrängt wurde, mit 59 Jahren zu einem neuen Leben erwacht und zum ersten Mal liebt.

Sein Held, Ante Valdemar Roos, empfindet sein Leben als trostlos. Er arbeitet in einer Firma, die nur Thermoskannen herstellt und ist unglücklich in seiner Ehe. Er gewinnt im Toto und seilt sich ab, kündigt seinen Job und verbringt seine Tage in einer einsamen Waldhütte. Bald begegnet er Anna, einem drogensüchtigen, von allen mißverstandenen Mädchen, das nach einem Drogenentzug aus dem Heim weggelaufen ist.

Das Schöne ist, daß Nesser der Freundschaft zwischen den beiden ihre Zweideutigkeiten läßt: Behutsamkeit trifft auf Selbstsucht, zwei Einsamkeiten treffen aufeinander, und Herr Roos entwickelt eine Blindheit, die Anna in große Gefahr bringt. Und doch wird dabei deutlich, wie sehr eine Freundschaft einen Menschen verändern kann, und so gesehen ist der dritte Roman der Barbarotti-Reihe beinahe eine Bekehrungsgeschichte: Ein verhärtetes Herz wird immer weicher. Der Mordfall spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Mit dem Ermittler, Inspektor Barbarotti, kann ich mich allerdings gar nicht anfreunden. Da tappt Nesser leider in die Schwedenkrimi-Falle. Barbarotti erinnert viel zu sehr an Wallander: geschieden, leidenschaftslos und zutiefst darüber betroffen, daß er als Mann leider diesen gewissen emotionalen Defekt hat. Vertrottelt ist er auch: Gerade ist er vom Dach in eine Schubkarre gefallen und hat sich den Fuß gebrochen. Nesser sollte mal probieren, wie die Barbarotti-Reihe ohne Barbarotti wäre.

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