Samstag, 25. April 2009

Freiheit und Religionsunterricht

Wer sich die Begriffe aneignet, sie mit seinen Inhalten füllt, hat die Macht. In Berlin hat ein rot-roter Senat die Macht. Er hat gerade den Begriff "Freiheit" umdefiniert. Morgen stimmen die Berliner darüber ab, ob die Schüler die Freiheit haben sollen, zwischen Religion und Ethik zu wählen - denn bisher sind sie dazu gezwungen, Ethikunterricht zu besuchen. In einer aus Steuermitteln finanzierten Werbekampagne macht der Berliner Senat Stimmung gegen das Anliegen von Pro Reli, und zwar mit Slogans wie "Nein zum Wahlzwang". Wählen zu dürfen bedeutet also Zwang? Sich von der Obrigkeit die Möglichkeit zur Wahl nehmen zu lassen, bedeutet also Freiheit? Freiheit ist Sklaverei? Ist es Dummheit oder Dreistigkeit, wenn sich Politiker auf so dämliche Weise selbst entlarven? Auf alle Fälle ist die Umdeutung der Begriffe in diesem Fall eine Lüge.

Eine hervorragende Analyse zum Thema "Religionsunterricht in Berlin" liefert Bettina Röhl.

Der Tunnel

Die Erinnerung ist ein großer Gleichmacher. Stimmungen, Eindrücke bleiben haften, und Details, die nicht passen, werden passend gemacht. So geht es mir auch mit meinen Erinnerungen an den Deutschunterricht damals im Gymnasium. Die Grundstimmung, die haften geblieben ist, trifft die Sache gewiß gut: eine einzige Betroffenheitssuppe, in der Günther Wallraff und Dorothée Sölle schwimmen, und die wir essen sollten, um zu besseren Menschen zu werden. Literatur, so mußten wir damals vermuten, hatte den Zweck, das Problembewußtsein zu schärfen und das Weltbild der Schüler mit einfachen Wahrheiten einzuzäunen. So konnte zuletzt sogar der "Faust" heruntergebrochen werden auf Gretchens mißlungene Emanzipation. Den "Faust" freilich liest man erst kurz vor dem Abitur, und da wußte ich schon, daß Goethe nichts dafür konnte. Um andere Autoren mache ich noch immer einen großen Bogen. So bisher auch um Dürrenmatt.  Wie allen Autoren, die ich in der Mittelstufe lesen mußte, brachte ich ihm  Mißtrauen entgegen. Zu Unrecht, wie ich gestern erkannte. Ich las noch einmal seine Erzählung "Der Tunnel".  Ein 24-jähriger Student , "fett, damit das Schreckliche hinter den Kulissen, welches er sah (das war seine Fähigkeit, vielleicht seine einzige) nicht allzu nah an ihn herankomme" , steigt in den Zug nach Zürich. Der Zug gerät in einen nicht endenden Tunnel und rast, immer schneller, in einen Abgrund.  Der Lokführer ist, wie der Student feststellen muß, längst abgesprungen, der Führerstand leer.

Die Vielzahl der Deutungen, die diese kurze Erzählung hervorgerufen hat, zeigt, daß sie sich nicht auf einen Begriff bringen läßt, sich nicht von einem Begriff  unterwerfen läßt. In den Alltag bricht ein unverständliches Geschehen ein, das Schreckliche, vor dem man sich nicht abschirmen kann; das Unerklärliche, vor dem man sich vergeblich mit Erklärungen zu schützen versucht: "Wir bewegen uns auf Schienen, der Tunnel muß also irgendwohin führen. Nichts beweist, daß am Tunnel etwas nicht in Ordnung ist, außer natürlich, daß er nicht aufhört."

Und so verweist diese kurze Erzählung zugleich auf die Grenzen menschlicher Erkenntnis wie auch auf die Freiheit der Literatur, Dinge zu sagen, die sich nicht ohne weiteres in einfache Welterklärungsmuster oder gar Handlungsanweisungen übersetzen lassen.

Donnerstag, 23. April 2009

Welttag des Buches

Gedenktage dienen dazu, an Verlorenes, gerade Verlorengehendes oder Schützenswertes zu erinnern. Den Welttag des Buches, der heute begangen wird, gibt es seit 1995. Die "Stiftung Lesen" verschenkt  jedes Jahr an Kinder ein eigens zu diesem Anlaß herausgebrachtes Buch, diesmal mit Abenteuergeschichten.

Über ein geschenktes Buch hätte ich mich als Kind gewiß gefreut. Zum Lesen bewegen mußte man mich nicht. Es gab keine Computer, kein Internet und nur drei Fernsehprogramme, dafür eine Pfarrbibliothek, die in meiner Erinnerung gewaltige Ausmaße annimmt. Ich las Astrid Lindgren oder Enid Blyton oder Otfried Preußler.  Manches davon würde heute nicht mehr ohne Weiteres vor den Augen der Sittenwächter der political correctness bestehen: Enid Blyton - reaktionär, außerdem wird in den Internatsgeschichten ganz schön viel gemobbt. Und daß Michel aus Lönneberga seinen Hahn und sein Schweinchen mit vergorenen Kirschen betrunken macht... Nun ja. Aber das Gute daran war eben, daß ich bei diesen Büchern nie das Gefühl hatte, daß sie meiner Erziehung dienen, schon gar nicht meiner Erziehung zu einem guten Staatsbürger.  Im Gegensatz zu etlichen Kinder- und Jugendbüchern heute, die vor allem Problembewußtsein demonstrieren und ihren jungen Lesern eine Lektion erteilen wollen. Auch wenn das noch so gut gemeint sein mag: Dagegen hätte ich mich als Kind gesträubt. Auch Kinder wollen Bücher, die sie unterhalten und die ihnen die Welt deuten - aber keine Bücher, die ihre Leser verbessern wollen und sie damit auf subtile Weise entmündigen. Man kann Kindern ruhig ein bißchen mehr zutrauen.

Mittwoch, 22. April 2009

Gezwitscher 2

Wie gesagt,  ich mag dieses Gezwitscher nicht.  Dennoch war Twitter wohl unvermeidlich.  Je mehr sich die schriftliche Kommunikation beschleunigt, desto kürzer werden die übermittelten Nachrichten.  Als um 1800 die Post noch Tage oder sogar Wochen unterwegs war, wurden seitenlange Briefe geschrieben, in denen der Schreibende ausführlich und sehr differenziert über seinen Seelenzustand Rechenschaft ablegte. Heute undenkbar, denn die Verkürzung und Beschleunigung der Nachrichten führt unweigerlich zu einem Verlust an Substanz. 140 Zeichen genügen nicht, um differenziert zu argumentieren. Die Briefkultur weicht einer hysterischen News-Kultur.

Diese Tendenz zu kurzen, leicht verständlichen Häppchen hat längst auf die Literatur übergegriffen. Der kolumbianische Schriftsteller Memo Anjel erklärte 2005 in einem Interview:

 "Ich glaube, die langen und labyrinthischen Kapitel funktionieren heutzutage nicht mehr. Die Leser haben sich gewandelt. Sie haben mehr Bilder im Kopf – aus dem Fernsehen, dem Internet, dem Kino. Die Zeit zum Lesen teilen sie mit anderen Aktivitäten."

Er zieht daraus die Konsequenz, daß heute kürzer und schneller geschrieben werden muß, was auch oft geschieht - die Poesie imitiert also die Wirklichkeit und folgt den Maßstäben ihrer Zeit. Dennoch gibt es noch Romanciers, die den Mut zu dem "Meer der Epik" haben, von dem Thomas Mann sprach, zu langen, tiefen, verschlungenen Kapiteln - den Mut also zu einer Poesie, die Gegenwelten erzeugt.  Zu ihnen gehört  z.B. Martin Mosebach.

Dienstag, 21. April 2009

Gezwitscher

Die Singvögel im Garten zwitschern nicht, weil sie sich über das schöne Wetter freuen oder weil sie ihren Zuhörern eine Freude machen wollen, sondern weil sie Konkurrenten aus ihrem Revier vertreiben und Weibchen anlocken wollen. Statt Kunst also Überlebenskampf.  Ähnlich wird es wohl mit dem virtuellen Gezwitscher, Twitter, sein. Die Kurznachrichten, die pausenlos ins Netz gesendet werden, haben selten den künstlerischen Rang eines Aphorismus oder eines Haiku. Man liest viel Belangloses aus dem Privatleben ("Die Sonne scheint, voll krass, trinke Redbull.") oder Berufsleben ("Riesenfisch an Land gezogen. Mega-Deal."). Die Botschaft dahinter lautet meistens nur: "Ich bin (auch noch) da."

Nun dürfte ein Medium, mit dem sich Präsenz markieren läßt, ohne daß man etwas Bedeutendes sagen muß, besonders für Politiker reizvoll sein. (Barack Obama hat's vorgemacht.) Und in der Tat: Die Liste mit "Politik-Tweeds" ist schnell gefunden. Hubertus Heil twittert ("Jetzt das Regierungsprogramm herunterladen!"), Volker Beck ("Minderheitenfeindlichkeit muss widersprochen werden."), David McAllister ("Niedersachsen profitiert von Europa besonders" - CDU beschließt Wahlprogramm zur Europawahl.").

Was für ein häßliches Medium!