Wie gesagt, ich mag dieses Gezwitscher nicht. Dennoch war Twitter wohl unvermeidlich. Je mehr sich die schriftliche Kommunikation beschleunigt, desto kürzer werden die übermittelten Nachrichten. Als um 1800 die Post noch Tage oder sogar Wochen unterwegs war, wurden seitenlange Briefe geschrieben, in denen der Schreibende ausführlich und sehr differenziert über seinen Seelenzustand Rechenschaft ablegte. Heute undenkbar, denn die Verkürzung und Beschleunigung der Nachrichten führt unweigerlich zu einem Verlust an Substanz. 140 Zeichen genügen nicht, um differenziert zu argumentieren. Die Briefkultur weicht einer hysterischen News-Kultur.
Diese Tendenz zu kurzen, leicht verständlichen Häppchen hat längst auf die Literatur übergegriffen. Der kolumbianische Schriftsteller Memo Anjel erklärte 2005 in einem Interview:
"Ich glaube, die langen und labyrinthischen Kapitel funktionieren heutzutage nicht mehr. Die Leser haben sich gewandelt. Sie haben mehr Bilder im Kopf – aus dem Fernsehen, dem Internet, dem Kino. Die Zeit zum Lesen teilen sie mit anderen Aktivitäten."
Er zieht daraus die Konsequenz, daß heute kürzer und schneller geschrieben werden muß, was auch oft geschieht - die Poesie imitiert also die Wirklichkeit und folgt den Maßstäben ihrer Zeit. Dennoch gibt es noch Romanciers, die den Mut zu dem "Meer der Epik" haben, von dem Thomas Mann sprach, zu langen, tiefen, verschlungenen Kapiteln - den Mut also zu einer Poesie, die Gegenwelten erzeugt. Zu ihnen gehört z.B. Martin Mosebach.
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