Montag, 20. Juli 2009

Immaculée Ilibagiza: Aschenblüte

Noch einmal Ruanda: Jean Hatzfeld hat die Täter-Perspektive untersucht, „Aschenblüte“ ist der Bericht einer Überlebenden des Völkermords. Immaculée Ilibagiza, eine Tutsi, hielt sich im Haus eines Hutu-Pfarrers versteckt. Mit sieben anderen Frauen verbrachte die junge Studentin drei Monate in einem winzigen Toilettenraum, vor dessen Eingang ein Kleiderschrank geschoben worden war. Das klingt unvorstellbar und ist es auch: acht Frauen drei Monate lang in einem Raum von nicht einmal zwei Quadratmetern. Sie durften nicht reden, konnten sich kaum bewegen, hatten wenig zu essen. Noch nicht einmal die Familie des Pfarrers durfte von ihnen wissen: „Sobald Blutgier in der Luft liegt, kann man niemandem mehr trauen, nicht einmal den eigenen Kindern,“ (S. 99) sagte der Pfarrer. Von draußen hörten die Frauen die schrecklichen Stimmen der Mörderbanden:

„Wir jagen sie in den Wäldern, auf Seen und Hügeln! Wir finden sie in der Kirche! Wir fegen sie vom Angesicht der Erde!“ [...] Hunderte von Männern umstanden das Haus, viele als Dämonen verkleidet, mit Röcken aus Baumrinde und Hemden aus getrockneten Bananenblättern, manche hatten sich sogar Ziegenhörner auf den Kopf gebunden. Ihre Gesichter waren trotz der gruseligen Kostümierung leicht zu erkennen und es stand Mordlust in ihren Augen. Sie johlten und brüllten. Wild mit ihren Speeren, Macheten und Messern fuchtelnd, vollführten sie eine Art Todestanz und sangen dabei das schaurige Lied des Völkermords: „Tötet sie, tötet sie, tötet sie alle. Tötet die Großen und die Kleinen! Tötet die Alten und die Jungen! Auch eine kleine Schlange ist eine Schlange, töte auch sie, lass sie nicht entkommen! Tötet sie, tötet sie, tötet sie alle!“ (S. 110f.)

Immaculée erlebte, wie Nachbarn und Freunde zu Mördern wurden, Menschen, die früher bei ihren Eltern zu Abend gegessen hatten. Ihre Eltern und zwei ihrer Brüder wurden ermordet. Doch Immaculée überlebte in ihrem Versteck, ohne Unterlaß betend. Die Mörder fanden sie nicht, obwohl sie das Haus des Pfarrers durchsuchten.

„Aschenblüte“ ist ein Buch über das Böse, das den immer gleichen Mustern folgt, egal wo es sich ereignet. Angst und Haß werden geschürt, das Opfer wird entmenschlicht, zu Ungeziefer erklärt, alle Schranken der Zivilisation fallen:

„Jungen Hutu wurde von Kindesbeinen an beigebracht, daß Tutsi minderwertig waren, daß man ihnen nicht trauen durfte und daß sie in Ruanda nichts zu suchen hatten. Die Hutu erlebten jeden Tag, wie Tutsi diskriminiert wurden, erst auf dem Schulhof, dann am Arbeitsplatz, und sie lernten, uns aller menschlichen Züge zu berauben, indem sie uns „Schlangen“ und „Kakerlaken“ nannten. Kein Wunder, daß sie uns so leicht töten konnten - Schlangen mußten schließlich getötet, Kakerlaken vernichtet werden!“ (S. 121)

Vor allem aber ist „Aschenblüte“ ein Buch über Vergebung. Es klingt unvorstellbar, daß sie dazu fähig war: Aber Immaculée hat den Mördern ihrer Familie vergeben – mit Gottes Hilfe.

„Die Killer waren ja wie Kinder. Ja, sie waren barbarische Geschöpfe, die für ihr Tun hart bestraft werden mußten, aber dennoch Kinder. Sie waren grausam, bösartig und brutal, wie Kinder manchmal sind, aber dennoch - sie waren Kinder. Sie sahen, verstanden aber nicht, welch schreckliches Leid sie anderen zufügten. Sie schlugen auf andere ein, ohne nachzudenken, sie mordeten ihre Tutsi-Brüder und -Schwestern, sie verletzten Gott - und sie begriffen nicht, wie sehr sie sich damit selbst schadeten. Ihr Geist hatte sich mit dem Bösen infiziert, das sich über das Land ausgebreitet hatte, aber ihre Seele war nicht böse. Trotz der Gräueltaten, die sie verübten, waren sie Kinder Gottes, und einem Kind konnte ich vergeben, auch wenn es nicht leicht sein würde - vor allem da dieses Kind mich umzubringen versuchte.“ (130f.)

Als Immaculée vergeben konnte, hat sie ihren Zorn und ihre Bitterkeit verloren. Sie begegnet den Mördern mit bedingungsloser Liebe. „Ich wurde gerettet, damit ich erzählen kann“ lautet der Untertitel ihres Buchs. Und sie erzählt, wie Liebe und Vergebung über den Haß siegen können und daß alles möglich ist, wenn man auf Gott vertraut. Ihr Bericht hat mich tief berührt.

Immaculée Ilibagiza: Aschenblüte. Ich wurde gerettet, damit ich erzählen kann, Berlin: Ullstein 2008.