Sonntag, 26. Juni 2011

Zölibat und Frauenpriestertum

Ja, ich gebe es zu: Früher war ich hundertprozentig gegen den Zölibat und für das Frauenpriestertum. Das war aber nicht das Ergebnis eigenen Nachdenkens. Man glaubt eben zunächst das, was man sein Leben lang in der Zeitung liest und in Predigten und im Religionsunterricht hört. Die Gegenposition ist ja in der BRD im öffentlichen Diskurs kaum vertreten. Deshalb ist es für die meisten selbstverständlich, für Frauenpriestertum zu sein, ebenso wie man selbstverständlich Sonnenschein besser findet als Regen.

Deshalb ärgere ich mich nicht, wenn es immer wieder zu solchen Begegnungen kommt: Man lernt einen Katholiken kennen, und beinahe das Erste, was er sagt ist: "Ich finde, wir brauchen endlich Frauen als Priester." Denn in der Regel geht es ihm nicht um Provokation und auch nicht darum, daß er eine grundsätzliche Diskussion führen oder tatsächlich etwas verändern möchte. Es geht ihm darum, auf einfache Weise einen Konsens mit seinem Gegenüber herzustellen. Er rechnet nicht damit, daß man anderer Meinung sein könnte. Und wenn man dann antwortet: "Finde ich nicht. Die Kirche hat nämlich nicht die Vollmacht, Frauen zu Priestern zu weihen ...", bringt man ihn völlig aus dem Konzept. Ebenso wenig würde ein Engländer, der an der Bushaltestelle zu seinem Nebenmann sagt: "Hoffentlich hört der Regen bald auf", mit der Antwort rechnen: "Ich liebe Regen! Die Natur braucht das, sonst trocknet alles aus".

Man sollte den Zölibatsgegnern und Frauenpriestertumsforderern zunächst also nicht unterstellen,  gründlich darüber nachgedacht zu haben (anders liegt der Fall freilich bei Leuten, die dies systematisch fordern). Zumal noch ein weiterer Aspekt dazukommt: Mit solchen Bekundungen kann man auf einfache und gefahrlose Weise zeigen, daß man ein guter Mensch ist. Denn für Frauenpriestertum zu sein gilt hier ja als gut ...

Doch wie kommt es, daß das Vertreten bestimmter Meinungen als eine solche Selbstverständlichkeit gilt, daß Themen wie der Zölibat sogar Small-Talk-tauglich werden? Sonst heißt es doch, über Politik und Religion redet man beim Small-Talk nicht. Wie ist es zu erklären, daß die meisten denken, mit solchen Meinungsäußerungen Konsens mit dem Gegenüber herstellen zu können, so als würde man über das Wetter sprechen?

Und genau dort liegt der Schlüssel: Das Wetter, Naturgewalten gehören zu den Gegebenheiten, in die man als Mensch hineingestellt ist und die unser körperliches Befinden beeinflussen. Das Empfinden darüber ist allgemein, es ist bei allen gleich: Man friert, wenn es kalt ist, und man fühlt sich wohl, wenn es warm ist. Sonnenschein hebt die Stimmung, Dunkelheit macht müde. Krankheiten sind nicht wünschenswert.

Wenn aber nun bestimmte Meinungen für ebenso allgemeinverbindlich gehalten werden wie natürliche Gegebenheiten, ist das ein sehr schlechtes Zeichen: Es gibt keine offenen Debatten mehr. Was man zu denken und zu meinen hat, gilt als festgelegt, ebenso wie es körperliche Reaktionen sind. Das Denken soll also uniformiert werden, und auf diesem Weg ist die Gesellschaft schon weit vorangeschritten – mit Hilfe der Massenmedien. Zum Glück gibt es noch immer viele Rückzugsräume. Doch läßt sich die Entwicklung hin zu einer totalitären Massengesellschaft noch aufhalten?

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