Anfang Februar hat ein Hai am Strand von Cancún eine kanadische Touristin angefallen. Die mexikanischen Zeitungen widmeten diesem Vorfall viele Artikel: Ist doch ein Haiangriff für den Tourismus dort ein großer Unglücksfall. Die örtlichen Behörden reagierten schnell. Sie erlaubten schon am nächsten Tag den Fischern, soviele Haie wie möglich zu töten.
Die Fischer töteten 70 Haie. Diese Tat erscheint zugleich vernunftwidrig, nachvollziehbar und ohnmächtig. Vernunftwidrig, weil sie keine Wirkung zeigen kann, es war ein sinnloses Schlachten. Nachvollziehbar als Zeichen, nicht nur, um die Touristen zu beruhigen, sondern auch aus gewichtigeren Gründen: Durch den Akt der Tötung versuchte man die Haie und damit die Natur der menschlichen Ordnung zu unterwerfen – einer Ordnung also, die Krieg, Gerechtigkeit, Rache, Strafe und Abschreckung kennt. „Ihr habt einen von uns angegriffen, wir töten 70 von euch.“ Eine solche Tat wäre kraftvoll und überzeugend, wenn sie auf einen vernünftigen Gegner stoßen würde.
Doch gerade dies ist nicht der Fall. Durch die Tötung der Haie wird die Ohnmacht des Menschen sichtbar, denn man tröstete sich einen Moment lang mit der Illusion, die Natur sei beherrschbar. Dabei bleibt sie bedrohlich. Und gerade heute, wo die Natur vergöttert wird und der Ökologismus längst den Rang einer Ersatzreligion hat, schadet es nicht, daran zu erinnern, daß die Natur nicht nur schön, sondern auch ein übermächtiger Gegner des Menschen sein kann. Jede Freiheit mußte er ihr erst abringen. Das vergißt man leicht, solange man sich in Sicherheit wiegt.
Haiangriffe erschrecken, selbst dann, wenn sie glimpflich verlaufen: Dies ist ihrem symbolischen Charakter geschuldet. Denn sie machen sichtbar, wie brüchig die Schutzzonen sind, die die Menschen sich geschaffen haben. Vor der Natur gibt es keine Rettung. Und wenn in den deutschen Medien weniger von dem Erdbeben und dem Tsunami die Rede ist, die in Japan viele Tausend Menschen das Leben gekostet haben, sondern ein damit verbundener Atomunfall geradezu hysterische Reaktionen hervorruft, mag nicht nur Berechnung dahinterstecken (auch wenn ein solcher Vorfall hier leider sehr vielen gut ins Konzept paßt). Vielleicht ist auch das ein schwächlicher Versuch, eine Naturkatastrophe vor dem Hintergrund einer von Menschen erschaffenen Ordnung zu betrachten. Denn Atomkraftwerke lassen sich abstellen, Erdbeben nicht. Die Ohnmacht des Menschen wird um so deutlicher sichtbar.
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